Lichtspiel

Es ist Tradition, dass die aufsehenerregendsten Bücher der Saison kurz nach ihrem Erscheinen auf den Theaterbühnen adaptiert wird. Erst recht gilt dies bei neuen Werken eines Bestsellerautors wie Daniel Kehlmann, der im Herbst 2023 mit „Lichtspiel“ in die NS-Zeit eintauchte und ein dokufiktionales Porträt des Regisseurs G.W. Pabst schrieb.

Charakteristisch für Kehlmanns Roman ist, dass historische Tatsachen mit fiktiven Geschehnissen verwoben werden. Neben Personen der Film- und Zeitgeschichte wie Greta Garbo oder Leni Riefenstahl, die mit Klarnamen auftreten, hat der Autor auch neue Figuren wie einen Pabst-Sohn namens Jakob oder den Reichspropaganda-Ministeriums-Mitarbeiter Kuno Krämer dazu erfunden. Die Versuchsanordnung kreist um ein Rätsel: wie konnte es passieren, dass ein bekannter Regisseur, der in der Weimarer Republik mit „Die freudlose Gasse“ oder „Die Dreigroschenoper“ ein linkes Profil hatte und als „Der rote Pabst“ bekannt war, nach Misserfolgen in Hollywood in seine Heimat zurückkehrte und zweitklassige, meist vergessene Komödien und Historienfilme für die Ufa drehte?

Kehlmann fabuliert in seinem dokufiktionalen Roman eine mögliche Version, wie es sich zugetragen haben könnte. Seine Hauptfigur erscheint in keinem besonders guten Licht, so ist die Romanfigur Pabst zum Beispiel dafür verantwortlich, dass er kurz vor dem Untergang der NS-Herrschaft in Prag für einen Filmdreh noch ganze Scharen von ausgemergelten KZ-Insassen rekrutierte, wie es Jahre vorher an ihrem Filmset auch Leni Riefenstahl machte. Historisch ist diese Aktion des Regisseurs Pabst nicht belegt, im Roman nimmt das Entsetzen seines Assistenten Franz Wilzek darüber breiten Raum ein.

Daran entzündete sich schon im vergangenen Jahr die Kritik der Feuilletons. Kehlmann gelang es dennoch, dass die Hauptfiguren facettenreich erscheinen. Wesentlich eindimensionaler gerät die Pabst-Figur in der Uraufführungs-Inszenierung von Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters. Silas Breiding spielt den Regisseur als Künstler, der einen Pakt mit jedem Teufel schließt, solange er weiterarbeiten kann.

Kehlmanns Buch orientiert sich an filmischen Erzähltechniken. In unverbundenen Miniaturen zoomt der Roman in Nahaufnahmen in sehr genau beschriebene Szenen, die mit bissigem Witz die Lächerlichkeit von Mitläufern deutlich machen und zum Lesevergnügen werden. Nach hartem Schnitt folgt im nächsten Kapitel eine andere Episode, aus der sich ein Zeit- und Charakterbild zusammenpuzzeln.

Fürs Theater ließ sich dieser Stil nicht gut übersetzen. Die Nebenfigur Rosenzweig, die im Prolog und Epilog des Romans auftaucht, wird in Stückls Fassung zum von Jawad Rajpoot gespielten  allwissenden Erzähler, der kommentiert, Verbindungen zwischen den Szenen herstellt und Pabst anklagt.

Das hat mehrere negative Konsequenzen: die Theaterzuschauer, die den Roman nicht kennen, werden an der Hand genommen und durch den dreistündigen Abend geführt, aber die Figuren werden eindimensionaler. Das gilt nicht nur für G.W. Pabst, sondern auch für seine real existierende Frau Gertrude und seinen fiktiven Sohn Jakob. Während im Hintergrund Archivmaterial von marschierenden Nazis über die Leinwand flimmert, verstrickt sich an der Rampe inmitten großer Stapel Filmrollen die Hauptfigur Pabst ohne größere Gewissensbisse immer tiefer in die Kollaboration mit den Nazis. Ein weiteres Manko dieser Erzähltechnik: Szene an Szene wird wie an einer Perlenkette aufgereiht. Linear wird der Weg der Hauptfigur ins Verderben nachgezeichnet. Der Grundton bleibt immer derselbe: düster und anklagend. Der satirische Witz, den einige Buchkapitel bieten, z.B. der glänzend beschriebene Lesezirkel, in den Pabsts Gattin gegen ihren Willen hineingerät, oder die Revierkämpfe zwischen Riefenstahl und Pabst bei den „Tiefland“-Dreharbeiten, blieb an diesem Theaterabend leider auf der Strecke.

„Lichtspiel“ nach Daniel Kehlmanns Roman wurde am 31. Oktober 2024 am Münchner Volkstheater uraufgeführt.

Bilder: Arno Declair

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