Wie auf Koks wirkt dieser überlange, fünfstündige Abend am Deutschen Theater Berlin: Wann hat man Uli Matthes schon mal zum schamanischen Trommel-Ritual zappeln sehen? Janek Maudrich und Wolfram Koch setzen noch eins drauf und trällern „SOS“ von ABBA im schwedischen Original.
Mit gewaltigem Aufwand jagt Regisseur Jan-Christoph Gockel sein Ensemble durch eine Adaption der ersten beiden Staffeln der gleichnamigen Serie „Hospital der Geister“, die Lars von Trier, sichtlich inspiriert vom David Lynch-Hit „Twin Peaks“, gemeinsam mit Niels Vørsel Mitte der 1990er Jahre vor seinem Kino-Durchbruch fürs dänische Fernsehen drehte.
Das Surreale-Gespenstische zieht sich durch den Abend: die hypochondrische Frau Drusse (sehr überzeugend: Beatrice Frey) ist in der Kopenhagener Klinik den Geheimnissen des Mädchens Marie auf der Spur, das durch die Aufzüge geistert und vor einem Jahrhundert starb. Die Krankenschwester Judith (Lisa Birke Balzer) bringt ein Baby, das zum Riesen-Monster anwächst (Puppenbau: Michael Pietsch als bewährter Arbeitspartner von Gockel). Zwischen all den Zombies jagt Dr. Rigmor Mortensen (Anja Schneider) nach den Ratten, die ihre Finger verstümmeln. Eine Freimaurer-Geheimloge treibt ihr Unwesen und im Keller dealt ein Assistenzarzt (Florian Köhler) mit Medikamenten und Klinik-Zubehör. Den Horror-Strang verkörpert Andri Schenardi am besten, der sich als Prof. Dr. Bondo eine Krebsleber einpflanzen lässt. Wenn er mit diabolischem Grinsen immer tiefer in den selbstzerstörerischen Wahn abtaucht, wird klar, wohin sich diese lange TV-Adaption auch hätte entwickeln können: zu einem Grusel-Horror-Trip in die Grenzbereiche medízinischer Ethik, die ernste Fragen aufwirft.
Doch der Abend springt zuverlässig sofort wieder zurück in Slapstick und Typenkomödie. Dafür sorgen vor allem Gast-Star Wolfram Koch als chauvinistischer Stinkstiefel Dr. Stig Helmer, der viel Zeit damit verbringt, seine Plagiate zu vertuschen und dabei gerne auch mal auf aus dem Ruder laufende Voodoo-Methoden setzt, und Uli Matthes als naiv-überforderter Chefarzt Prof. Dr. Einar Moesgaard, der die Klinik im Stil der Waldorf-Pädagogik führen möchte. Ihr Erzählstrang witzelt über die Intrigen und Eifersüchteleien an einer dysfunktionalen Klinik unter Spardruck.
Unterbrochen von zwei Pausen erzählt Gockel die wesentlichen Stationen des Serien-Plots nach. Oft ist das unterhaltsam, noch öfter gleitet es in Klamauk, vor allem der letzte Teil zieht sich sehr. Die Ankündigung am Pressetisch, dass um eine halbe Stunde gekürzt wurde, haben Regisseur und Ensemble im Eifer des Gefechts dann doch nicht umgesetzt.
Schon zum zweiten Mal adaptierte Gockel die dänische Serie „Hospital der Geister“. 2023 unter der Grazer Intendanz von Iris Laufenberg brauchte er noch vier Stunden, der Kern des Ensembles spielte schon damals mit. Neben dem DT-Startrio Koch/Matthes/Schneider wurde das Ensemble um mehrere Spieler*innen mit Handicap erweitert, die sich gut in das wilde Treiben einfügen: Jonas Sippel (seit Jahren regelmäßiger Gast in DT-Koproduktionen) und Dirk Nadler vom RambaZamba Theater sind in mehreren Rollen dabei, u.a. als Anführer der Geheimloge und Gesundheitsminister und geben dem Abend zusätzliche Komik. Einer der wenigen stillen Momente ist ganz am Anfang, als die blinde und taube Tanja Hameter mit ihrer Dolmetscherin/Assistentin Claudia Wolf-Straubinger ein paar Einblicke in ihren Alltag gibt. Als Patientin und Medium geistern auch sie wie die Zombies durch den langen Abend.
Die „Hospital der Geister“-Adaption ist großes, aufwändiges Spektakel mit witzigen Momenten und verlangt dem Publikum viel Sitzfleisch ab. Es wird spannend zu beobachten, ob dieser überbordende Abend vom Publikum angenommen wird und vielleicht als Zombie-Horror-Komödie sogar zum Kulthit wird oder ob er eher als teure, kräftezehrende Zweitverwertung in die Geschichte eingehen wird.
Bilder: Armin Smailovic