Magdeburger Blutbuch beim Theatertreffen

Nach dem verhalten-düsteren Auftakt mit „Bernarda Albas Haus“ aus Hamburg, dessen ausgetüftelte Parallelmontage im Festspielhaus an tontechnische Grenzen stieß, und dem Pollesch-Hinrichs-Gedächtnis-Abend „ja nichts ist ok“ hatte das Theatertreffen ein erstes Highlight.

Verantwortlich war eine Bühne aus der vermeintlichen, vielgeschmähten Provinz: das Theater Magdeburg landete mit „Blutbuch“ einen Coup, der seit mehr als einem Jahr von Festival zu Festival gereicht wird und das Publikum aus den Metropolen eigens mit dem Regionalexpress anreisen lässt.

Eigentlich sollte Jan Friedrich wieder eine seiner Klassikerüberschreibungen inszenieren, demnächst ist auch seine Tschechow-Bearbeitung „Onkel Werner“ bei den Autorentheatertagen zu sehen. Bei einer Wiederaufnahme-Probe kaufte der Regisseur das „Blutbuch“ von Kim de l´Horizon, das mit dem Deutschen und Schweizer Buchpreis ausgezeichnet war und in Berliner Buchhandlungen vergriffen war. In Magdeburg konnte sich Friedrich ein Exemplar vom Stapel nehmen und war schnell begeistert. Er erzählte Schauspieldirektor Bastian Lomsché davon, sah aber kaum eine Chance, dass sich das Theater Magdeburg die Rechte sichern könnte. Der Direktor fragte dennoch beim Verlag an und bekam den Zuschlag. So erzählten sie es beim gestrigen TT-Nachtgespräch.

Der Rest ist Geschichte: „Blutbuch“ ist eine berührende Geschichte, die quer über Generationen und Lebensstile funktioniert. Explizit tauchen der Roman und seine Theaterfassung in das queere Sex-Leben mit kinky Parties der autofiktionalen, nonbinären Hauptfigur in Zürich und Berlin ein. Aber auch für das Magdeburger Stadttheater-Stammpublikum funktioniert der Abend als Mehrgenerationendrama über den Bildungsaufstieg und Selbstfindungsprozess von Kim, über das schwierige Verhältnis zur Meer (=Mutter) hinter ihrem Eishexen-Panzer und über das Verhältnis zur von ihrem langen Arbeitsleben gezeichneten, in die Demenz abgleitenden Großmeer (Bernerdeutsch für Großmutter).

Allein schon wie die Produktion eines schafft, für jeden der 5 unterschiedlichen Teile einen Erzählton und passende Stilmittel zu finden und für so viele Publikumsschichten durch die Themen von Nonbinarität/Queerness bis Klassismus und Sprachlosigkeit zwischen den Generationen anschlussfähig zu bleiben, macht „Blutbuch“ bemerkenswert. Eine verdiente erste Theatertreffen-Einladung für das Theater Magdeburg!

Zwei Wochen später wurde die Österreicherin Carmen Steinert zum Theatertreffen-Abschluss von Jurorin Bettina Stucky mit dem Alfred Kerr-Preis als beste junge Schauspielerin des Festivals ausgezeichnet.

Bild: Kerstin Schomburg

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert