Bernarda Albas Haus

Düster raunt Bruno Ganz aus dem Off. Wir hörten eine Passage aus Hölderlins „Hyperion“-Fragment, geschrieben auf dem Weg in seelische Qualen, Verzweiflung und Einsamkeit. „Willkommen am Abgrund“, setzt Matthias Pees, Intendant der Berliner Festspiele, mit maliziösem Lächeln nach. Er macht thematisch weiter, wo er zur Eröffnung des „Reflexe & Reflexionen“-Wochenendes im März 2025 ganz unter dem Eindruck der Trumpschen Disruption begann.

Lässt es sich jetzt, wo wir inmitten der Krisen und Kriege scheinbar ganz unten angekommen sind, angstfrei neuanfangen, fragt Pees. Ein stimmungsaufhellender Schritt ins Freie ist die nun folgende Eröffnungs-Inszenierung jedoch auf gar keinen Fall. Im Gegenteil: Alice Birch hat Federico Garcia Lorcas Klassiker „Bernarda Albas Haus“ aus der Zeit von Faschismus und Spanischem Bürgerkrieg in ein zeitloses Irgendwann versetzt und mit britischer „In Yer Face“-Sprache versetzt. Wir erleben eine Matriarchin (Julia Wieninger mit ihrer 12. Theatertreffen-Einladung, wenn ich richtig gezählt habe), der mit der Empathie eines Army-Drill Instructors flucht und brüllt und ihre Töchter seit acht Jahren in ihrem eingemauerten Haus wie in einem Gefängnis hält.

Der ästhetische Clou der Inszenierung von Katie Mitchell, die zwei Jahre nach der Londoner Uraufführung der Lorca-Überschreibung an einem tristen November-Abend die deutsche Fassung von Ulrike Syha am Schauspielhaus Hamburg herausbrachte, ist die Parallelmontage-Technik. Diesmal ohne Live-Video, das die britische Künstlerin sonst oft einsetzt, erzählt sie den Plot auf der in kleine Puppenstuben-Zimmer, einen Salon und die Küche geteilten Bühne von Alex Eales in Szenen ablaufen, die oft ineinander übergehen oder ganz parallel laufen.

Technisch ist dies sehr präzise gearbeitet, auch wenn die Verschränkung der Dialoge und Szenen in den verschiedenen Zimmern dazu führt, dass das Publikum den Details und Satzfetzen schwer folgen kann, wie Andreas Schnell in seiner Nachtkritik zurecht feststellte. Mitchell ging es offensichtlich mehr um das Atmosphärische, um ein Wimmelbild aus Verzweiflung, Angst und vorsichtiger Auflehnung der Töchter.

Handwerklich ist dieser Abend durchaus bemerkenswert. Es ist deutlich spürbar, dass hier ein erfahrenes Team am Werk ist. Katie Mitchell hat ihren Stil, der zuletzt in der Parallelmontage von „Anatomie eines Suizids“ im Corona-Jahr 2020 nur im Theatertreffen-Stream zu sehen war, konsequent weiterentwickelt. Es ist ihre mittlerweile vierte Einladung nach Berlin, immer unter der Intendanz von Karin Beier, je 2x in Köln und nun in Hamburg entwickelt. Beide Künstlerinnen konnten ihre Urkunden nicht persönlich entgegennehmen: Mitchell kümmert sich um den erkrankten Stiefvater, Beier um die Hündin, die fünf Welpen bekam, wie Festivalleiterin Nora Hertlein-Hull als kaum zu toppende Entschuldigung anbrachte.

Inhaltlich wirken die 90 konzentrierten Minuten, in denen sich Zeitlupen-Bewegungen und Brüllduelle/Verzweiflungsschreie abwechseln, etwas zu plakativ. Die Schlinge um den Hals der Mädchen wird immer enger. Fast alle Ausbruchsversuche scheitern, im Halbdunkel sind die meist sehr jungen Spielerinnen schwer auseinanderzuhalten, die 2023 vom DT nach Hamburg gewechselte Linn Reusse und Josefine Israel sind die bekanntesten Protagonisten.

Während sich die demente Großmutter (Bettina Stucky, in diesem Jahr auch Jurorin des Alfred Kerr-Preises) in ihre Kammer zurückzieht und Peter (Joël Schnabel, der wortlos seine muskelbepackten 1,90 m über das Absperrgitter zu hieven versucht) aufgegeben hat, verteilt die Mutter die tödlichen Pillen an ihre brav aufgereihten Töchter: „Virgin Suicides“ an der Waterkant und beklommenes Schweigen im Berliner Festival-Publikum, bevor der Applaus langsam einsetzt.

Einen amüsanten Moment gab es an diesem düster-depressiven Abend dann doch noch: Die scheidende, glücklose Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die morgens in einem Berliner Zeitung-Kommentar von Uli Seidler für ihren rhetorischen Stil verspottet wurde, fährt die Krallen aus und begrüßt die „lieben Demokratinnen und Demokraten“ ganz besonders demonstrativ. In einer großen verbalen Umgestungsgeste verneigt sie sich vor allen von Techniker*innen bis Publikum und versucht eine Bilanz ihrer dreieinhalb Jahre. Immerhin weniger uninspiriert als ihre knappen Grußwort-Floskeln im vergangenen Jahr.

Bild: Thomas Aurin

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