Düster und depressiv geht das Theatertreffen auch am 2. Tag weiter. „Hilfe! Hilfe!“ gellen die Schreie durch die Volksbühne am Rosa Luxemburg-Platz. Schon nach wenigen Minuten tut Fabian Hinrichs, Solo-Performer und Co-Autor/Co-Regisseur dieses Abends so, als ob er sich die Pulsadern aufschneiden würde. Selten waren Triggerwarnungen so angebracht wie für „ja nichts ist ok“.
Hinrichs jammert, barmt und klagt, trauert um eine verflossene Liebe, wünscht sich den Tod und denkt über Suizid nach. Was für eine Ballung dieses Themas nach dem gestrigen Theatertreffen-Auftakt. Als ich das Stück kurz nach der verschobenen Premiere und wenige Tage nach dem überraschenden Tod von Co-Autor/Co-Regisseur René Pollesch zum ersten Mal sah, dominierten die zahlreichen Todesmotive meine Wahrnehmung. Todeserwartung, vielleicht sogar Todessehnsucht werden immer wieder beschworen. Der 70 Minuten kurze Abend mündet darin, dass Hinrichs von einer Gruppe von Statist*innen unter sich begraben wird. Die Menschenkörper bilden die schützende Hülle gegen eine Welt, die er nicht mehr erträgt.
Merkwürdig an „ja nichts ist ok“ ist und bleibt, wie oft der Abend ins Alberne kippt. Hinrichs wechselt die Rollen einer Vierer-Zweck-WG, die vor dem Hintergrundrauschen von Kriegs-TV-Bildern mehr schlecht als recht ihren Alltag bewältigt. Diese tragikomischen Passagen sind etwas langatmig, aber noch erträglicher als die flachen Kinderbuch-Witze, die Hinrichs einstreut.
Es war eine sichere Wette, dass „ja nichts ist ok“ eingeladen würde: als Würdigung des Vermächtnisses von René Pollesch. Er und Hinrichs wurden in den vergangenen Jahrzehnten zu einem prägenden Duo, an Glanzstücke wie „Kill your darlings“ (Theatertreffen 2012) reicht ihre unwiderruflich letzte Koproduktion nicht mehr heran. Zu zerrissen scheint die gemeinsame Arbeits-und Probenphase von Polleschs Krankenhausaufenthalt, zu disparat sind die Gefühlsschwankungen dieses kurzen Abends.
Davor eröffnete Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, in der Kassenhalle des Festspielhauses die 60. Jubiläumsausgabe des Internationalen Forums des Theatertreffens. Hermann Beil, damals noch Dramaturgie-Assistent in der Mainkloake, heute Theatertreffen-gestählter Veteran des Claus Peymann-Theaters, erinnerte sich launig an das erste Forum. Auch damals trafen sich schon junge Theatermacher, der Unterschied zu heute: es waren nur wenige Frauen darunter und alle Teilnehmer stammten aus der Nachkriegs-Bundesrepublik. In kurzen Schlaglichtern erinnerte sich Beil an die erste TT-Einladung für Ilse Ritter in Hans Bauers Darmstädter „Doña Rosita oder die Sprache der Blumen“, an Rudolf Noeltes Stuttgarter „Drei Schwestern“ und an Streitgespräch dieses Regisseurs mit seinem Kollegen Erwin Piscator über aktivististischer Theater und die „Vierte Wand“. Den stärksten Eindruck hinterließ beim jungen Beil ein Besuch im Deutschen Theater Berlin jenseits der Mauer, wo ihn Dieter Mann in seiner Debüt-Rolle als als Wolodja in „Unterwegs“ von Wiktor Rosow in Friedo Solters Regie beeindruckte.
Den Rest dieser Eröffnungs-Veranstaltung gestalteten Meloe Gennai aus Genf (Teilnehmer des vergangenen Forums-Jahrgangs) und Amitesh Grover aus Delhi (Alumnus 2013) mit Beiträgen, die das Gemeinschaftsgefühl im Forum betonten. Der eine hatte einen Kurzauftritt mit persönlichen Erinnerungen, der andere orchestrierte einen mit 30 Minuten zu lang geratenen Zoom-Talk mit Teilnehmer*innen quer durch die Kontinente, bei dem das Publikumsinteresse spürbar nachließ. Dima Levytskyi aus Kyiv (Alumnus von 2016) konnte nicht persönlich da sein, da er für den Fronteinsatz trainiert. Seine Kollegin stellte gemeinsame Foto-Collagen und Audiowalks vor, die sie gemeinsam in einem zum Off-Theater umfunktionierten Kiosk der ukrainischen Hauptstadt planen. Krieg und Gewalt prägen das Eröffnungswochenende dieses Theatertreffens!
Bild: Thomas Aurin