Unser Deutschlandmärchen beim Theatertreffen

Strahlende Gesichter von Shermin Langhoff und ihren langjährigen Weggefährt*innen nach dieser hochverdienten Einladung zum Theatertreffen: Regisseur Hakan Savaş Mican und die beiden singenden Schauspieler*innen Taner Şahintürk und Sesede Terziyan gehören zum Kern-Team des Gorki, das 2013 antrat, migrantische Geschichten ins Stadt-und Staatstheater einzuspeisen. Im Nachtgespräch mit Moderatorin Xenia Sircar (damals und bis 2019 Pressesprecherin des Hauses) waren sich die Beteiligten einig, es fühle sich an, wie mit der Familie zu arbeiten. So vertraut ist man, so lange kennt man sich schon.

Den richtigen Riecher für einen spannenden Roman-Stoff hatte die Intendantin, sie schlug „Unser Deutschlandmärchen“ von Dinçer Güçyeter vor, der 2023 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Die Collage-Technik, mit der hier exemplarisch vom schwierigen Ankommen der „Gastarbeiterinnnen“-Generation in der alten Bundesrepublik, einem Leitthema des Gorki Theaters seit mehr als einem Jahrzehnt, erzählt wurde, ist eine Herausforderung für eine Theater-Adaption.

Langhoffs Vorschlag, die Mutter Fatma von einem Arbeiterinnen-Chor verkörpern zu lassen, wurde schnell verworfen. Der Regisseur und seine Spieler*innen waren sich schnell einig, dass der Stoff am besten funktioniert, wenn man ihn auf wenige Protagonist*innen aufteilt, am Ende stand die Mutter-Sohn-Beziehung, die Şahintürk und Terziyan chronologisch erzählen

Bemerkenswert ist, wie dieser Stoff präsentiert wird: Savaş Mican, bekennender „Romantiker“ unter den Regisseuren, erzählt wie immer mit viel Herzblut und dem Blick für kleine Details in den Beziehungen. Der Clou ist, dass in Sprechtheaterszenen musikalische Kommentare eingewoben sind. Mit türkischen Songs sehnt sich Terziyans Fatma nach der Heimat, mit rockigen Soli klopft Şahintürks Dincer an die Türen der Gesellschaft, die sich den Migrant*innen noch versperren, da sie als billige, vorübergehende Arbeitskräfte gesehen werden. Auch hier bewährte sich wieder die familiäre Zusammenarbeit: Micans Idee, den Sohn italienische Schlager singen zu lassen, hätte sicher bei weitem nicht die Wirkung erzielt, mit der Şahintürk mit seiner eigenen Auswahl von Herbert Grönemeyer bis Sisters of Mercy in Begleitung der fünfköpfigen Liveband auftrumpfte.

Das größte komödiantische Talent im Team hat Güçyeters Mutter, die bei der Premiere am 6. April 2025 aus Nettetal nach Berlin reiste, beim Theatertreffen aber nicht dabei war. Ihr Sohn würzte das Nachtgespräch mit einigen Anekdoten, wie die theaterferne Mutter den Kultur-Betrieb damals wahrnahm und erfrischend kommentierte.

Kein Blatt vor den Mund nahm bereits am Nachmittag Barrie Kosky, langjähriger Intendant der Komischen Oper Berlin und dem Haus weiter als Musiktheater-Regisseur, bei seiner Wutrede auf dem „Und jetzt?“-Panel im Rahmenprogramm. Die Berliner Kulturpolitik sei in die Hände von Terroristen gefallen, die in einem suizidalen Akt genau jene Sparte kaputtsparen, die Menschen aus aller Welt anlockt, polterte er. Einziger Hoffnungsschimmer: auf den Dilettanten Joe Chialo folge nun mit der neuen Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson immerhin ein Profi.

Bild: © Ute Langkafel MAIFOTO

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