Balconettes

Für ihr elegisches, fein ziseliertes Kunstkino wurden Regisseurin Céline Sciamma und Co-Hauptdarstellerin Noémie Merlant im Cannes-Wettbewerb 2019 gefeiert. Fünf Jahre nach „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ waren die beiden Frauen wieder in Cannes eingeladen, allerdings mit völlig veränderter Tonlage und an einem unerwarterten Ort. Mit „Balconettes (Original: „Les femmes au balcon“) schlugen sie in der Mitternachts-Sektion auf. Der Film ist die zweite Regie-Arbeit von Merlant, als Co-Drehbuchautorin war Sciamma an Bord.

In diesem Film schwitzt Marseille unter der Hitzeglocke. Á la Hitchcock beobachten zwei sehr gegensätzliche Frauen, das Camgirl Ruby (Souheila Yacoub) und die verklemmte Schriftstellerin Nicole (Sandra Codreanu) den attraktiven, gegenüber neu eingezogenen Nachbarn, der sich räkelt. Sie kennen von ihm bis zum Schluss nur den Nachnamen Magnani (Lucas Bravo, Model und bekannt aus der Serie „Emily in Paris“). Als die Dritte im Bunde, Èlise (Noémi Merlant), eine Schauspielerin im Marilyn Monroe-Look, hinzukommt, fährt sie beim Einparken das Auto des Schönlings an.

Aus dem Sprachnachrichten-Flirt wird eine wilde Partynacht. Am nächsten Morgen wacht Ruby blutverschmiert auf, ihr Lover hängt aufgespießt sehr dekorativ in der Wohnung. Sichtlich vom Frühwerk von Pedro Almodóvar inspiriert entspinnt sich eine rasante Erotik-Splatter-Horror-Komödie mit Frauen jenseits des Nervenzusammenbruchs.

Sie versuchen einerseits, den Todesfall zu vertuschen und die Leiche zu beseitigen. Zum Running Gag wird die Frage, was sie mit dem besten Stück des Mannes machen sollen, das in einer Tupperdose im Kühlschrank gelagert wird. Zum andern versuchen sie, sich Klarheit zu verschaffen, was in der Nacht passiert ist: der Schönling begann, Ruby zu vergewaltigen, sie stieß ihn in Notwehr weg.

„Balconettes“ ist rasantes Genre-Kino mit völlig überdrehten Figuren und gewagten Handlungssprüngen. Vor allem in der zweiten Hälfte zeigen sich einige Drehbuch-Unebenheiten. Aber die 105 Minuten machen großen Spaß und sind mehr als B-Movie-Entertainment: Merlant/Sciamma setzen ihre feministische Botschaft gegen übergriffige Männer in Zeiten von #metoo. Die Kritikerinnen von ZEIT Online und Standard feierten „Balconettes“ als neue Stimme, die dem „male gaze“ selbstbewuste Frauenkörper entgegensetzt und ihre Kritik an patriarchalen Strukturen in einer sehenswerten Krimi-Komödie mit Zombie-Motiven geschickt platziert.

Ein Jahr nach der Cannes-Premiere starteten die „Balconettes“ am 8. Mai 2025 in den deutschen Kinos. Selbst in Berlin mit seiner großen Auswahl an Programmkinos läuft der Film leider derzeit nur in zwei Häusern.

Bilder: © 2024 PROGRESS Filmverleih NORD-OUEST FILMS – FRANCE 2 CINÉMA

 

   

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert