Drei Generationen von DT-Spielerinnen sind in der Familiensaga „karpatenflecken“ von Thomas Perle in der Box zu erleben. Julia Windischbauer (als Tochter), Judith Hofmann (als Mutter und Tante) und Isabel Schosnig, die für Katrin Klein die Rolle der Großmutter übernahm, waren gestern zum letzten Mal in András Dömötörs Inszenierung zu erleben.
Der Text wurde 2019 mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnet und ist ein Sprach-Mosaik über die wechselhafte Geschichte Mittelosteuropas. Flucht, Vertreibung, Rassismus und Hass sind die Konstanten, die Sprachen verwirren sich geradezu babylonisch. Auf Hochdeutsch muss die Tochter fürs Publikum immer wieder übersetzen, was die älteren Familienmitglieder auf Rumänisch, Ungarisch oder einem österreisch-jiddischen Dialekt gesagt haben.
Multitethnisch ist der „Wurzelort“, aus dem die drei Frauen stammen, die als Spätaussiedlerinnen nach Deutschland kamen. Viel Biographisches steckt in dem Text von Thomas Perle, der 1987 in Rumänien geboren wurde, dreisprachig in Nürnberg aufwuchs und in Wien lebt.
„karpatenflecken“ verzichtet auf die Chronologie, springt in kurzen Splittern zwischen den Zeiten hin und her: von der NS-Zeit geht es zum Sturz Ceaucescus, private Ereignisse wie Hochzeiten spiegeln sich in den weltpolitischen Umbrüchen. Charakteristisch sind die Brüche und Auslassungen mitten im Satz: häufig sind es die Verben, die im Erinnerungsstrom der drei Frauen fehlen.
Nur eine knappe Stunde kurz sind die Schlaglichter, die das Potenzial zu einem Familiensaga-Mehrteiler hätten, aber bewusst nur als kleine Ausschnitte präsentiert werden. Sie münden in eine klare politische Botschaft gegen Rassismus und Ausgrenzung, für Empathie mit Migrant*innen. Auf der Zielgeraden des Abends setzt die Orbán-treue Tante zu einer Tirade gegen „Überfremdung“ an, die Tochter versucht den älteren Frauen klarzumachen, dass sie selbst erst vor einigen Jahrzehnten nach Deutschland geflohen sind. Aber das sei doch etwas ganz anderes, sie seien schließlich Christen, empören sich Großmutter und Tante.
„karpatenflecken“ wurde am 10. Dezember 2021 im Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. Die für Mai 2020 geplante Uraufführung des Wiener Burgtheaters musste Corona-bedingt verschoben werden. 2023 wurde Thomas Perle mit dem Nestroy-Autorenpreis ausgezeichnet.
Bild: Arno Declair