Der Helsinki-Effekt

Selbstironisch weist die Erzählerstimme immer wieder darauf hin, wie dröge der Stoff sei, von dem in den 88 Minuten erzählt wird. Vor 50 Jahren trafen sich Staatschefs mitten im Kalten Krieg zur KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Nach zähen, mehrjährigen Verhandlungen auf Minister- und Diplomaten-Ebene schaute die Welt auf die drei Tage von Helsinki, an denen sich eine Schaufenster-Rede an die nächste reihte. Am Ende stand die Unterzeichnung der „Schlussakte“, eines sperrigen Paragraphen-Werks.

Leonid Breschnew, Generalsekretär der KPdSU, hatte sich mit seiner Forderung durchgesetzt, die damals bestehenden Grenzen für unverletzlich zu erklären. Im Gegenzug erreichte der Westen, dass die Warschauer Pakt-Staaten kleine Zugeständnisse bei Presse- und Meinungsfreiheit (im sogenannten Korb 3 des Verhandlungspakets) unterschrieben. Die damals herrschende Meinung brachte der US-Außenminister Henry Kissinger in Gesprächsprotokollen und Aktennotizen auf den Punkt: Papier ist geduldig, resalpolitisch ändert sich an der Blockkonfrontation nicht.

Die Gegenthese vertritt der finnische Dokumentarfilmer Arthur Franck: die Formelkompromisse der KSZE-Schlussakte hätten ein Eigenleben entwickelt und die Dissidenten in Prag (Charta 77) und Warschau (Solidarnosc) ermutigt, in der Sowjetunion bildeten sich Helsinki-Gruppen, die die versprochenen Freiheiten einforderten. Mit sichtlichem Stolz, dass dieser Prozess in seiner Heimatstadt angestoßen worden sei, führt Franck durch den Off-Kommentar, den in der deutschen Synchronfassung Bjarne Mädel spricht.

Diese Ton-Spur flicht immer wieder kleine Gags in die Schilderung des zähen Verhandlungs-Marathons ein. Die Schnecke wird als Leitmotiv mehrfach eingeblendet. Ungewöhnlich ist die Form, in der Franck erzählt: Da die zentralen Protagonisten fünf Jahrzehnte später bereits verstorben sind, generierte sein Team statt der bei Polit- und History-TV-Dokus gewohnten Talking Heads mit Hilfe von KI aus den Protokollen Tonaufnahmen, die den Stimmen von Breschnew, Kissinger und Co. nachgebildet sind.

Wie groß der Einfluss der KSZE auf den Fall der Mauer anderthalb Jahrzehnte tatsächlich war, bleibt umstritten, vermutlich überschätzt Franck ihn etwas. Ihm geht es aber vor allem um ein Lob auf die Mühen der Diplomatie. Besser in Trippelschritten verhandeln als den Nachbarn überfallen.

„Der Helsinki-Effekt“ wurde vom finnischen Fernsehen YLE, dem rbb und arte koproduziert und startete am 12. Juni 2025 in einigen Programmkinos.

Bild: Vladimir Musaelyan

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