Von der Enge eines Schweizer Bergdorfs und Rassismus erzählt Eva-Maria Bertschy, inspiriert von einer wahren Begebenheit. In den vergangenen Jahren arbeitete sie öfter mit Milo Rau, dem aktuellen Intendanten der Wiener Festwochen, und in der kongolesisch-schweizerischen Kollektiv GROUP50:50.
„Fremde Seelen“ ist ihre erste Arbeit, bei der sie für Text und Regie allein verantwortlich ist. Das Zürcher Theater Neumarkt und das Vorarlberger Landestheater Bregenz produzierten sie gemeinsam mit den beiden Festivals Belluard Bollwerk International und euro-scene Leipzig, bei den Autor*innentheatertagen gastiert der Abend an diesem Wochenende in der Kammer des DT Berlin.
Prominente Unterstützung hat sich Bertschy für dieses Stück eingeladen: das Bühnenbild stammt von Ersan Mondtag, der vor wenigen Wochen sein Theatertreffen-Comeback mit „Double Serpent“ feierte. Die kreisrunde Wasserfläche auf der dunklen Bühne ist kein so alptraumhaftes Setting, wie wir es aus seinen eigenen Inszenierungen gewohnt sind, die mit Mystery- und Horror-Motiven spielen. Carol Schuler, ab 2017 einige Jahre mit Herbert Fritsch an der Schaubühne und seit 2020 Zürcher „Tatort“-Kommissarin, ermittelt auch hier in einem Todesfall.
Aus Personalnot wurde ein vietnamesische Pfarrer in das Bergdorf versetzt, in dem die Protagonistin aufgewachsen ist. In Rückblenden werden die Flucht der Boat People mit der Cap Anamur und das schwierige Fußfassen und Nichtankommen in der neuen Heimat erzählt. Beispielhaft zeigt sich das im Ton des Nachrufs auf den Pfarrer im Blättchen der Kirchengemeinde.
An einer Pilzvergiftung soll der Pfarrer gestorben sein. Hat er sich nach nur vier Jahren im Dorf das Leben genommen? Um diese Fragen kreist Schulers Figur. Aufgelockert wird die postmigrantische Spurensuche durch viel Musik: Schuler wird von Kojack Kossakamvwe, Lebenspartner der Regisseurin, begleitet, tritt mit ihm immer wieder in einen deutsch-französischen, übertitelten Dialog zu Rassismus und Fremdheit. Ein Highlight der Inszenierung sind die französischen Lieder, mit denen ein Chor in der zweiten Hälfte das Geschehen kommentiert. Wie in der Einführung zu hören war, handelte es sich nicht um die Premierenbesetzung, sondern um einen Leipziger Chor, der schon bei den euro-scene-Gastspielen im Einsatz war und lautstark jubelnde Unterstützung mitgebracht hat.
Hymnisch feierte Egbert Tholl, der für die SZ regelmäßig aus Zürich berichtet, die Premiere zum Spielzeitauftakt im September 2024. Im vom Gorki Theater mit postmigrantischen Geschichten verwöhnten Berlin kam die Inszenierung recht gut an, variiert bekannte Themen und überzeugt musikalisch.
Bild: Tom Dachs