An unfinished film

Im Herbst 2019 trommelt ein Regisseur sein Team zusammen, fährt einen alten Rechner hoch und möchte das zehn Jahre alte Material zu Ende drehen. Das „Film im Film“-Material zeigt zwei unbeschwerte, frisch verliebte junge Männer. Der Hauptdarsteller winkt im Vier-Augen-Gespräch mit dem Regisseur ab: die schwule Liebesgeschichte wird niemals die Zensur in der Volksrepublik China passieren. Wozu also der ganze Aufwand? Das Land habe sich rasant verhindert und auch seine private Situation: er hat geheiratet und eine kleine Tochter.

Am Ende lässt er sich doch darauf ein, doch was Anfang 2020 in China passierte, wissen wir alle: zunächst waren es nur Gerüchte über eine mysteriöse Erkrankung, dann wurden erste Drehs abgebrochen. Das Filmteam ist optimistisch, noch die letzten fehlenden Szenen in den Kasten zu bekommen. Doch die Ereignisse überschlugen sich bekanntlich: das Regime verhängte eine strenge Ausgangssperre für Wuhan, steckte das Team in Quarantäne.

Nach recht zähem Beginn wird „An unfinished film“ zur interessanten Doku-Fiktion: reale Video-Aufnahmen von leeren Straßen und den einsamen Menschen vor ihrer Videokonferenz-Kachel sind in die fiktive Filmdreh-Geschichte eingewoben und machen Lou Yes Werk zu einem sehenswerten Zeitdokument.

Vor einem Jahr hatte der von ZDF und arte koproduzierte Film seine Premiere in Cannes 2024, außer Konkurrrenz als Special Screening. Weitere Einladungen folgten, z.B. nach Toronto, Preise gewann die Dokufiktion bei kleineren asiatischen Festivals in Taipeh, Tokyo und Singapur. In Berlin war „An unfinished film“ in der dem (süd)ostasiatischen Kino gewidmeten „In the mood“-Reihe der Yorck-Gruppe zu sehen.

Bild: Alamode

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