Figures in Extinction

Ein Stück, das die Klimakrise reflektiert, wünschte sich Theatertreffen-Jurorin Valeria Heintges bei der Jury-Abschlussdiskussion im Mai. Im vergangenen Jahr hätte es so ein Stück, gegeben, das mit viel Witz und Scharfsinn in der Yael Ronen eigenen Mixtur aus Tiefsinn und schwarzem Humor über Artensterben und Klimakrise nachdachte. „Planet B“ vom Gorki Theater schaffte es leider nur auf die Shortlist des 2024er Jahrgangs.

An diesem Wochenende gastiert auf Einladung des Staatsballetts Berlin eine hochkarätige Crossover-Co-Produktion aus Tanz, Lecture Performance und Comedy, die sich genau mit den von Frau Heintges eingeforderten Themen befasst. Das Timing könnte kaum besser sein: die ungewöhnlich frühe und heftige Hitzewelle mit ihren unerträglichen Temperaturen ist gerade abgeebt und hat hoffentlich der letzten Kartoffel klargemacht, dass der mitteleuropäische Architektur- und Lebensstil nur äußerst schwer mit Sahara-Luftmassen kompatibel ist.

„Figures in Extinction“ ist ein gemeinsames Werk von Crystal Pite, Choreographin am Nederlands Dans Theater, und Simon McBurney/Complicité. Der erste Teil des fast dreistündigen Abends ist der stärkste und schillerndste, 2022 gewann er den Zwaan-Preis für die beste niederländische Tanz-Produktion. Aus dem Off zählen eine Mädchen-Stimme und Co-Regisseur McBurney all die Tiere, Pflanzen und Gewässer auf, die ausgestorben oder ausgetrocknet sind. Die eindrucksvolle Galerie des sich rasant beschleunigenden Artensterbens wird mit Jahreszahlen und Übertiteln versehen. Die Tänzer*innen auf der Bühne imitieren vom Giftfrosch über den Säbelzahntiger bis zum Karibu all die verlorenen Arten. Einen Polit-Comedy-Auftritt hat ein besonders schmieriger Klimawandel-Leugner, der sich als Entertainer zwischen die Tier-Choreographien mischt und die üblichen Phrasen aus dieser Ecke drischt. Aus dem Off kommt auch noch die Stimme von Donald Trump, der überzeugt ist, dass er auch auf dem Gebiet von Umweltschutz ein Genie sei.

Nach der Pause widmet sich der Mittelteil der Hirnforschung: aus dem Off kommen Exkurse von Iain McGilchrist, der kritisiert, dass unsere gesamte Zivilisation zu sehr von der Rationalität und Effizienz der rechten Gehirnhälfte dominiert wird und Empathie und Emotion zu kurz kommen. Tänzerisch wird diese Passage vom Ausbruch des Ensembles aus dem Anzug- und Business-Look und die Feier der Lebensfreude untermalt.

Der letzte Teil hatte erst im Februar 2025 in Manchester Premiere und geht vom Artensterben in der Natur weg zu einer assoziativen Meditation über Tod und Sterben. Zum Lacrimosa aus Mozarts Requiem stehen die Tänzer*innen um ein Sterbebett, während im Hintergrund das Lichtdesign von Tom Visser seine aus früheren Kollaborationen mit Crystal Pite bekannten Schatten wirft. Auch wenn dieser letzte Teil, wie auch Guardian und Deutsche Bühne kritisierten, in seiner Fahrigkeit deutlich abfällt, sind die „Figures of Extinction“ ein sehenswertes Gastspiel zum Abschluss der Tanz-Saison, das ernste Themen mit Spielfreude und Humor bearbeitet.

Zwei letzte Gastspiel-Vorstellungen gibt es am heutigen Nachmittag in der Deutschen Oper Berlin.

Bilder: Rahi Rezvani

 

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