Der Palast

Anne Ratte-Polle, die in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach mit Castorf, Fritsch, Hartmann und Pollesch an der Volksbühne zusammengearbeitet hat, fügt sich bei ihrer Rückkehr an die alte Wirkungsstätte so perfekt in das Dorky Park-Ensemble ein, als würde sie schon immer dazugehören. Zu den Glanzlichtern des Abends zählen ihre Soli, z.B. der Song, in dem sie zu Beginn vom Kiezsterben erzählt: der Bäcker ist weg, der Buchladen ist weg…

In der zweiten Hälfte fläzt sie sich im Bohlen-Stil als Chefin einer Casting-Show in den Sessel. Die Tänzer*innen müssen in einer „Let´s Dance“-Parodie gegeneinander antreten, werden von der Jury taxiert und niedergemacht. Luc Guiol drischt dazu als schmieriger Conférencier die passenden neoliberalen Selbstoptimierungs-Phrasen. Das Castingshow-Format wird bei Macras zu einem Puzzleteil des Globalisierungsprozesses: Statt bunter Vielfalt überschwemmen die einschlägigen Shows die Privat-TV-Kanäle weltweit. Ähnlich uniform ist der Lebensstil einer gut verdienenden, ebenso gut ausgebildeten Elite von Globalisierungsgewinnern, die sich in angesagten Vierteln der Metropolen ansiedeln, Immobilien als Geldanlage nutzen und die Mietpreise in die Höhe treiben.

Einen überbordenden und ausfransenden, mit drei Stunden deutlich zu langen Abend bieten Constanza Macras und ihre Compagnie DorkyPark bei ihrer ersten Arbeit an der Berliner Volksbühne. Ihr wichtiges Anliegen, den Finger in die Wunde der enormen Gentrifizierungs- und Verdrängungsprozesse zu legen, drohen sie immer wieder aus den Augen zu verlieren. Irgendwie schaffen Macras und ihre Dramaturgin Carmen Mehnert es aber doch, die Kurve zu kriegen und nach allen Spielereien und Exkursen zum Kern zurückzufinden.

„Der Palast“ erzählt in seinen stärkeren Momenten mit tänzerischem Drive und kabarettistischer Schärfe sehr anschaulich von den Menschen, die nach Jahrzehnten aus ihren Wohnungen vertrieben werden. Die brutalen Methoden, mit denen Mieter rausgeekelt werden, werden hier deutlich angesprochen: Das Tageslicht wird durch Planen ausgesperrt, das Wasser abgedreht, durch Bauarbeiten so viel Chaos und Dreck verursacht, dass die Ratten durchs Haus spazieren. Das Unwesen der Briefkastenfirmen in Zossen wird anschaulich beschrieben und als die Cayman Islands von Brandenburg karikiert.

In den schwächeren Passagen mäandert „Der Palast“ orientierungslos dahin und verliert sich in Längen. Damit steht Macras in bester Volksbühnen-Tradition, braucht allerdings nur halb so lang wie der ehemalige Hausherr Frank Castorf. Mit dieser mangelnden Erzählökonomie passt Macras auch gut zu den überbordenden Bilderwelten, in die der neue Schauspieldirektor Thorbjörn Arnarsson in seiner „Edda“ eintauchte.

Ganz zum Schluss treten noch einige Überraschungsgäste auf, die im Programmheft gar nicht aufgeführt sind. Für die geplagte Seele der Volksbühnen-Nostalgiker kommt Carolin Mylord zu einem ebenso kurzen wie rätselhaften Monolog auf die Bühne. Als Special Guest trat gestern auch der deutsch-libanesische Schauspieler und Tänzer Hassan Akkouch auf, der in Neukölln aufwuchs und als Jugendlicher mit Breakdance-Einlagen in Stücken von Constanza Macras dabei war, bevor er mit postmigrantischen Inszenierungen wie „Verrücktes Blut“ am Ballhaus Naunynstraße und am Gorki Theater bekannt wurde. Humorvoll erzählt er von einem doppelten Kulturschock: Zunächst zog er von Neukölln in die Münchner Maxvorstadt, wo er an der Otto-Falckenberg-Schule studierte und später in Matthias Lilienthals Kammerspiele-Ensemble spielte. Dort wunderte er sich über saubere Grünflächen, auf denen er wirklich sitzen konnte, ohne sich um Hundekacke und Drogenspritzen Sorgen machen zu müssen. Jetzt zog es ihn zurück nach Neukölln, das er kaum mehr wiedererkennt. Da er keine passende 3-4-Zimmer-Wohnung zu erschwinglichen Preisen findet, gibt er dem Theaterpublikum seine Handy-Nummer und ist für Angebote dankbar.

Der Abend endet nach drei Stunden mit einem der großformatigen Bilder von Tom Hunter, der bekannte Orte in Berlin wie das Kottbusser Tor verfremdet im Stil Alter Meister fotografierte und damit die Inszenierung illustriert hat. Der Abend wird so auch zum Rate- und Wiederentdeckungsspiel durch die Kunstgeschichte, da er ausgiebig auf Meisterwerke wie die „Geburt der Venus“ von Botticelli anspielt.

Bilder: Thomas Aurin

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