Born in Evin

Mit ihrem dokumentarischen Film-Essay „Born in Evin“ erreicht Mayram Zaree eine neue Stufe in der jahrelangen Beschäftigung mit ihrem großen Lebensthema: Sie wurde 1982 in Evin geboren, einem berüchtigten Foltergefängnis des iranischen Mullah-Regimes.

Ihre Mutter, eine junge, marxistische Aktivistin, kam drei Jahre später aus dem Gefängnis frei und mit ihrer kleinen Tochter an der Hand am Frankfurter Hauptbahnhof an. Nargess Eskandari-Grünberg baute sich mit beeindruckender Energie hier ein neues Leben auf: als Alleinerziehende promovierte sie in Psychologie, engagierte sich bei NGOs und trat 2017 für die Frankfurter Grünen als erste OB-Kandidatin einer deutschen Großstadt mit Migrationshintergrund an. Sie konzentrierte sich ganz auf diesen Neuanfang und wollte den Verletzungen und dem Leid nicht zu viel Raum geben, wie sie in einem Interview am Ende des Films erklärt.

Ihre Tochter Maryam Zaree musste dafür einen Preis zahlen: sie leidet darunter, dass sie nie offen mit ihrer Mutter über die Geburt und die ersten Jahre sprechen konnte. Dass sie in einem iranischen Foltergefängnis geboren ist, erfuhr Zaree auch nur zufällig von ihrer Tante.

„Born in Evin“ dokumentiert die jahrelange Reise von Maryam Zaree auf der Suche nach ihren Wurzeln: die Gespräche mit anderen Regimegegner*innen, die ähnliches erlebt haben und vor allem die schwierigen Anläufe, mit ihrer Mutter ins Gespräch zu kommen.

Diese ZDF(Das kleine Fernsehspiel)/ORF-Koproduktion ist ein intimer, berührender Film, in dem Zaree sehr offen darüber spricht, was sie seit Jahren umtreibt. Die Auseinandersetzung mit den schlimmen Umständen ihrer Geburt ist auch künstlerisch für Zaree ein Lebensprojekt.

Zum Spielzeitauftakt des Gorki Theaters im September 2016 sprach sie in einer Schlüsselszene der Stückentwicklung „Denial“ von Yael Ronen darüber, dass sie ihrer Mutter nun endlich in einem Video die Fragen stellen wolle, die ihr auf den Nägeln brenne, befürchtete aber im selben Atemzug, dass ihre Mutter hier bei der Theaterpremiere sitzen könnte. Damals hielt ich – wie wohl die meisten Zuschauer*innen – diesen Auftritt für eine typische Ronen-Szene. Die israelische Regisseurin, die ihre Abende konsequent mit dem Ensemble entwickelt, ist dafür bekannt, dass sie autobiographisches Material mit Erfundenem und dramatisch Übersteigertem so verknüpft, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen.

Dass diese „Denial“-Szene über eine Tochter, die auf der Suche nach der Wahrheit über ihre Geburt im Folterknast ist, einen nicht nur sehr ernsten, sondern auch wahren Hintergrund hatte, wurde zwei Jahre später klar, als „Kluge Gefühle“ von Maryam Zaree beim Heidelberger Stückemarkt uraufgeführt und kurz danach auch im HAU 3 mit Anke Engelke als Stargast inszeniert wurde. Ihr autobiographisches Drama verarbeitete sie in diesem Theaterstück in einer fiktiven, allerdings erstaunlich statisch geratenen Mutter-Tochter-Auseinandersetzung.

Am konsequentesten und überzeugendsten arbeitet sie ihr Lebensthema im Film „Born in Evin“ auf, der bereits im Winter in der „Perspektive Deutsches Kino“ lief und derzeit in einigen Programmkinos zu sehen ist.

Bei der Deutschen Filmpreis-Gala 2020 wurde „Born in Evin“ mit der Lola für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet.

Bilder: Real Fiction Filmverleih

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