Pelikanblut

Eindringlich wie man sie bei ihren unterkühlten Schaubühnen-Auftritten lange nicht gesehen hat, spielt Nina Hoss die Pferdeflüsterin Wiebke.

Die Kommunikation mit den Tieren beherrscht sie perfekt, noch den widerspenstigsten Hengst führt sie behutsam durch die Gelassenheitsprüfung, so dass er in der Reiterstaffel der Polizei eingesetzt werden kann. Ihr Umgang mit Menschen hapert allerdings gewaltig: ihren potentiellen Liebhaber Benedict (Murathan Muslu) stößt sie weg und auch ihre Adoptivtochter Nicolina vernachlässigt sie mehr und mehr.

Für Wiebke dreht sich alles nur noch um ihre zweite Adoptivtochter Raya, die sie aus einem bulgarischen Waisenhaus auf ihren Reiterhof geholt hat. Schnell stellt sich heraus: hinter der schüchternen Fassade verbirgt sich ein schwer traumatisiertes Kind, das mit seinen Attacken und seiner Gefühlskälte zur Gefahr für die gesamte Umgebung wird.

Wiebke hat sich, inspiriert von orthodoxer Ikonenmalerei der „Pelikanblut“-Szenen, zum Ziel gesetzt, das Kind Raya nicht in eine Spezialklinik wegzugeben, sondern den Trauma-Panzer aufzuknacken. Sie geht dabei weit über die üblichen Grenzen, wenn sie z.B. ihre Brust mit künstlicher Milch zum Stillen der Fünfjährigen aufspritzen und von der Adoptivtochter wundbeißen lässt, ähnlich wie sich die Pelikanmutter auf dem mythologischen Bild aufopfert.

„Pelikanblut“ ist eindrucksvoll gespielt und ragt aus dem üblichen deutschen Kinoschaffen heraus. Schon mit ihrem Debüt „Tore tanzt“ hat sich Regisseurin und Drehbuch-Autorin Katrin Gebbe einen solch guten Namen gemacht, dass sie im September 2019 die Orizzonti-Reihe in Venedig eröffnen durfte.

Aus dem präzisen Sozialdrama mit mythologischen Bezügen vergaloppiert sich Gebbe allerdings mehr und mehr in Richtung eines Mystery-Horrorthrillers, der beim amerikanischen B-Movie-Kino von William Friedkins „Der Exorzist“ bis zu „Chucky – Die Mörderpuppe“ von Tom Holland Anleihen nimmt.

Auffällig ist, dass nach dem Berlinale-Hit „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt zum zweiten Mal in diesem Kinojahr ein Albtraumkind im Mittelpunkt eines deutschen A-Festival-Films steht.

Nach der gestrigen Aufführung bei der „German Night“ aka Nina Hoss-Gala (im Doppelpack mit Ina Weisses „Das Vorspiel“) beim Festival „Around the World in 14 films“ in der Kulturbrauerei ist ein Kinostart von „Pelikanblut“ für März 2020 geplant.

Bild: © Junafilm

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert