Baracke

Um die Uraufführung eines neuen Texts von Rainald Goetz reißen sich die großen Häuser. 1983 wurde er berühmt, als er den Literaturbetrieb beim Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt mit einer Selbstverletzungs-Aktion provozierte. Wie kaum ein anderer traf er mit seinen hektischen Schnipseln und Collagen den Zeitgeist der Jahrtausendwende zwischen Techno und Start-up-Boom. Dass bei seiner Methode auch spannende Tiefenbohrungen entstehen können, bewies er mit seinem glanzvollen Comeback mit Karin Beiers Hamburger „Reich des Todes“-Uraufführung (tt 2021), in der er die autoritären Denkmuster der Bush-Administration im „War on terror“ kenntlich machte. Zuletzt gab er nach langem Zögern die Rechte für eine Roman-Adaption von „Johann Holtrop: Abriss einer Gesellschaft“ für eine Kölner/Düsseldorfer Produktion über Aufstieg und Fall des Bertelsmann-Managers Thomas Middelhoff frei.

Mareike Beykirch, dem Berliner Publikum aus langen Jahren am Gorki Theater bestens bekannt und nach einigen, eher unauffälligen Jahren am Münchner Residenztheater in Iris Laufenbergs neu zusammengestelltem DT-Ensemble, zitiert in einem Intro loopartig zu angedeuteten Techno-Moves einige Titel aus dem Gesamtwerk von Goetz. Mit „Baracke“, die gestern am DT Berlin zur Uraufführung kam, folgt dem aber nur eine Fußnote.

Die ersten anderthalb Stunden bestreiten Beykirch und Jeremy Mockridge (seit 2017 am DT) fast im Alleingang. Sie spielen Bea und Ramin, ein junges Paar, irgendwo zwischen Soap und Klamotte, mal auf freier Bühne, mal in Museumsvitrinen, ab und zu kommt als Sidekick auch Uwe (Janek Maudrich, nach Studium an der HfS Ernst Busch und Erstengagement am Münchner Volkstheater neu am DT) hinzu. Auf der Tonspur plätschern die Schnipsel und Fragmente dahin. Was als Spiel mit Genres und Sprachebenen zwischen soziologischen und (doch eher pseudo-)philosophischen Traktaten und der  Soap des Pärchens nach Beifall heischt, ist vor allem sehr durchschaubar, zäh und allzu selbstgefällig.

In der zweiten Hälfte der knapp 2,5 Stunden weitet sich das Panorama: Natali Seelig (als einzige an diesem Abend auch schon während der gesamten Khuon-Ära seit 2009 am Haus) und Andri Schenardi, der Laufenberg schon als häufiger Gast in Graz eng verbunden war und bei den DT-Autorentheatertagen 2011 einen tollen Auftritt als schlangenhafter Barkeeper in den „Murder Ballads“ nach Nick Cave hatte, spielen ein Paar quer durch die Epochen: sie starten in antiquierten Biedermeier-Roben und landen bei zeitgenössischen Texten.

Seelig berichtet ihrer Interview-Partnerin (Lisa Birke Balzer springt bei den ersten Vorstellungen mit Textbuch für die erkrankte Daria von Loewenich ein, beide kamen mit Laufenberg aus Graz) in einer der wenigen eindrucksvollen Text-Passagen von Gewalt in ihrer Partnerschaft, Andri Schenardi legt einen #metoo-Monolog nach. Dieses Thema stand schon im Zentrum von Prima Facie vergangene Woche.

Häusliche Gewalt in Partnerschaften und Familien ist sicher ein ernstes Problem, aber den Schnipseln von Goetz fehlt die gedankliche Präzison früherer Texte. Zu platt und beliebig wirkt die Auseinandersetzung mit diesem Mikrokosmos. Ärgerlich wird der Abend schließlich durch den Versuch, das NSU-Terrortrio der Beate und der beiden Uwes mit der Chronologie der häuslichen Gewalt kurzzuschließen. Das bleibt nur Behauptung, schlimmer noch: es verhöhnt die Opfer des NSU, wenn Goetz hier künstlich versucht, mit der vorab breit kommunizierten, bewussten Anspielung auf die Namen der rechtsextremen Mörder zusätzliche Aufmerksamkeit zu erhaschen, obwohl ein volles Haus inklusive Berichterstattung überregionaler Leitmedien bei ihm sowieso garantiert ist. Dies ist der schwächste Teil eines enttäuschenden Abends, in dem viel geredet wird, der aber wenig zu sagen hat. Die Gewaltgeschichte unseres Landes und die Abgründe hinter den Fassaden des Bürgertums hat Ersan Mondtag vor anderthalb Jahren in seiner Gorki-Theater-Collage  Geschwister schlüssiger verknüpft.

Uraufführungs-Regisseurin Claudia Bossard, die mit Laufenberg schon lange zusammenarbeitet und ihr Berlin-Debüt gab, baut aus den Text-Schnipseln und Fragmenten kleine Szenen und gibt ihrem spielfreudigen und überwiegend jungen Ensemble viel Raum, zu dem neben den Genannten noch Frieder Langenberger und Evamaria Salcher (beide ebenfalls aus Graz mitgebracht) und Mio Jurek Lane Südhoff vom Jungen DT zählen. Gerade in der zweiten Hälfte gerät dies oft ähnlich albern wie in Alexander Eisenachs Weltall Erde Mensch, wenn die Spieler z.B. plötzlich in Veroackungen bekannter Lebensmittel-Marken von Twix bis Bifi schlüpfen. 

Premiere von „Baracke“ am DT: 22. September 2023

Der Abend schaffte es auf die Shortlist des Theatertreffens 2024, konnte sich aber wegen der beschriebenen Mängel nicht in die 10er Auswahl durchsetzen. Im Mai 2024 wird die „Baracke“ allerdings beim Mülheimer Urauffpngs-Festival zu sehen sein.

Bilder: Thomas Aurin

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