The Hunger

Constanza Macras ist die Königin des Mash-up: sie mixt hochassoziativ Tanz-Stile und Motive, springt von Themen-Fragment zu Video-Schnipsel, quer über die Kontinente und durch die Zeiten, das alles in rasantem Tempo und mit ihrem sehr diversen DorkyPark-Ensemble.

Als Gast ist zum Spielzeitauftakt der Volksbühne wieder Anne Ratte-Polle dabei, die das wilde Treiben mit großen Augen verfolgt und kurze Textpassagen einstreut, die sie ironisch zerdehnt.

Ausgangspunkt der zweistündigen Revue ist diesmal der Roman „Der fremde Zeuge“ des argentinischen Macras-Landsmanns Juan José Saer über einen Kolonialisten im 16. Jahrhundert, der in die Hände eines indigenen Stammes fällt und eine kannibalistische Orgie miterlebt. Diese Fressgelage werden vom großen Ensemble ebenso eingestreut wie Gruppen-Sex-Szenen, in denen sich die Tänzerinnen und Tänzer verknäueln und alle erdenklichen Sexstellungen. Jedes dieser Motive und Tableaus wird kurz angetippt. Sofort landet die Assoziationskette von Macras wo ganz anders: die Gier und das Fressen führen sie zu asiatischen Influencerinnen, die in Social Media-Videos Unmengen an Essen in sich reinstopfen. Von den indigenen Stämmen Lateinamerikas zieht Macras plötzlich eine Querverbindung zu den „Mia san mia“-Bayern und lässt ihr Ensemble in Dirndl und Lederhose schuhplatteln. Es kann aber auch völlig anders weitergehen, zum Beispiel mit einer Breakdance-Einlage von Khaled, diesmal ungewöhnlich vielen Live-Video-Passagen, mit der sich „The Hunger“ vor der Tradition des Hauses verneigt, oder Anne Ratte-Polle darf über die Ehe extemporieren, während Miki Shoji im Brautkleid darauf wartet, Moritz Lucht das Ja-Wort zu geben.

Stringenz ist nicht die Stärke von „The Hunger“, in dem überbordenden Wust an Ideen und Motiven, den Macras mit gleich drei Dramaturginnen entwickelt hat, gibt es kaum gedankliche Schneisen oder gar einen roten Faden. Macras-Abende werden immer dann richtig gut, wenn es ihr gelingt, ihren Hochenegrie-Mix aus Theater, Tanz und Themenschnipseln so zu konzipieren, dass der Betrachter noch eine Chance hat, in der rasanten Show ein Anliegen auszumachen, das die Szenen verbindet, die diesmal zu beliebig angeordnet wirken.

Jubel gab es dennoch am Rosa Luxemburg-Platz, der neben den tänzerischen Leistungen sicher auch dem Durchhalte-Willen des Volksbühnen-Kollektivs galt, dem es gelang, trotz der unklaren Zukunft nach dem Tod des Intendanten einen Premieren-Spielplan für die erste Spielzeit-Hälfte auf die Beine zu stellen, der sich vor andere Häusern nicht verstecken muss. Das Publikum erwartet eine Mischung aus neuen Namen und bekannten Säulen wie Constanza Macras.

Bilder: Thomas Aurin

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