Yoyeurismus ist das zentrale Thema von „Stranger Eyes“, einem Thriller aus Singapur und dem ersten Film im Wettbewerb von Venedig aus diesem Land. Stark ist die erste Hälfte: ein junges Paar ist auf der verzweifelten Suche nach ihrer Tochter. Geheimnisvolle DVDs werden vor ihrer Tür abgelegt. Wer ist dieser unbekannte Beobachter? Welches Ziel verfolgt er? Und wie steht es eigentlich um die Ehe des jungen Paares, die außer vom mysteriösen Fremden auch ständig im Visier der omnipräsenten Schwiegermutter sind.
Yeo Siew Hua erzählt seine Geschichte nach allen Regeln der Thriller-Kunst, setzt das Puzzle aus Rückblenden und Zeitsprüngen zusammen, wechselt immer wieder die Perspektive und legt falsche Fährten. Im Zentrum des Films stehen der junge Vater Wu Chien-ho, der keinen Flirt auslässt und aus Wut über die bedrohliche Überwachung selbst zum Jäger wird, und Lee Kang-sheng, der Prototyp eines einsamen Voyeurs, der seine Wertvorstellungen als alleinigen Maßstab für die gesamte Gesellschaft sieht.
Nach dem überzeugenden Auftakt verliert „Stranger Eyes“ mehr und mehr seinen Fokus, versucht sich an Reflexionen über Liebe, Einsamkeit und den Zustand der südostasiatischen Gesellschaften. Der Film verabschiedet sich vom Thriller-Genre und wird unnötig sentimental.
Lange dauerte es, bis Yeo Siew Hua nach seinem 2018 mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichneten Debüt „A Land Imagined“ alle Hürden genommen hat, um seinen zweiten Spielfilm drehen zu können. Anfang September stellte er ihn im Wettbewerb von Venedig vor, ging aber leer aus, kurz danach hatte er seine Deutschland-Premiere beim Filmfest Hamburg.
Bild: Akanga Film Asia/Christopher Wong