Pedro Almodóvar ist der Meister raffiniert-verschachtelter Konstruktionen und schriller Gefühlsausbrüche von „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“.
Sein Alterswerk „The Room Next Door“ überrascht nun als ungewohnt linearer Film, der sich nur wenige Rückblenden und keine Abschweifungen erlaubt. Hochkonzentriert denkt dieses stille Drama über das Sterben im Allgemeinen und die Streitfrage assistierten Suizids im Besonderen nach.
Die Kriegsreporterin Martha (Tilda Swinton) hat Krebs mit Metastasen im Endstadium und wünscht sich einen selbstbestimmten Tod. Zur Tochter hatte sie eine engere Bindung, der Vater des Kindes war eine Jugendliebe und verunglückte kurz nach seiner Rückkehr aus dem Vietnamkriegs-Trauma, die wenigen Freundinnen winken kategorisch ab. Mit illegaler Sterbehilfe wollen sie nichts zu tun haben.
Bleibt nur Ingrid (Julianne Moore), eine Bestsellerautorin, mit der Martha vor Jahrzehnten erste berufliche Schritte bei einem New Yorker Magazin machte. Sie hatten lange keinen Kontakt, dennoch bittet Ingrid Martha nun um einen letzten Gefallen: im Darknet habe sie eine tödliche Pille gekauft, um ihr Leben zu beenden. In den letzten Tagen und Stunden möchte Ingrid aber nicht alleine sein. Martha soll sie in ein Ferienhaus begleiten und in ihrer Nähe bleiben.
Almodóvar tastet sich vorsichtig an den Plot heran. Der Beginn ertrinkt immer wieder in Pathos und hölzernen Momenten. Erst langsam schwimmt sich der Film frei. Je stärker der Spanier seinem anglo-amerikanischen Star-Duo Moore/Swinton vertraut und je stärker er sich zurücknimmt, desto überzeugender wird „The Room Next Door“.
Mit der Nebenfigur Damian (John Turturro), einem Ex-Lover beider Frauen, der mit pessimistischen Kassandra-Vorträgen vor der Klimakrise warnt, schlägt Almodóvar einen Bogen zu anderen aktuellen Diskursen. Insgesamt ist sein Melodram aber so wenig ausschweifend und geradezu nüchtern wie selten.
Dieser Stil überzeugte die Jury in Venedig so sehr, dass sie „The Room Next Door“ mit dem Hauptpreis, dem Goldenen Löwen, auszeichneten. Bereits kurz nach der Premiere lief das Werk bei der Filmkunstmesse Leipzig und dem Filmfest Hamburg und startete kurz danach am 24. Oktober in den deutschen Kinos.
Zu Beginn der Hollywood Award Season war Tilda Swinton zwar für einen Golden Globe nominiert, ging aber leer aus.
Bilder: © El Deseo, photo by Iglesias Más