Glaube, Geld, Krieg und Liebe

Mitten in den aufgeregten Debatten um drastische Kürzungspläne im Berliner Landes- und Bundeshaushalt, die Stadttheater und Freie Szene empfindlich treffen würden, landet der frankokanadische Regie-Altmeister Robert Lepage mit einem teuren UFO aus einer anderen Theater-Zeit und anderen Theater-Welt in der Schaubühne am Kurfüstendamm.

Lepage möchte nichts weniger als in einem großen Bogen durch die deutsch-deutsche Geschichte der vergangenen acht Jahrzehnte von der conditio humana und den menschlichen Schicksalsschlägen zu erzählen. Die Schaubühnen-Dramaturgie griff tief ins Regal der Philosophie-Klassiker des 20. Jahrhunderts mit längeren Passagen von Jean-Paul Sartre und Hannah Arendt.

Sehr viel Zeit nimmt sich Lepage für dieses Unterfangen. So viel Zeit, wie sie sonst nur noch Frank Castorf zugestanden wird. Doch statt Live-Video, Brüll-Orgien und Fremdtext-Schlachten lässt Lepage Biographien von Figuren entstehen, die er mit dem siebenköpfigen Ensemble anhand von nur vier Spielkarten entwickelte.

Lepage und sein Ensemble kosten die Längen aus, während die vier LED-Wände Szene für Szene einen neuen Hintergrund evozieren. Über die technische Brillanz dieses Bühnenbilds wurde in den vergangenen Tagen viel gejubelt, an vorderster Front von Theatertreffen-Juror Janis El-Bira in seiner Nachtkritik. Doch inhaltlich bleibt der Abend über weite Strecken erschreckend banal. Statt großer Menschheitsfragen werden viele Klischees über Spielsucht, die dunkle Vergangenheit deutscher Unternehmen, die NS-Zwangsarbeiter ausbeuteten, und das Trauma von Bundeswehr-Soldaten nach dem Afghanistan-Einsatz ausgebreitet. Die Stränge werden schlecht oder nur kolportagehaft verbunden, das Ensemble wechselt quer durch die Akte häufig die Rollen, um das gesamte Personal dieser Saga zu stemmen.

Drei Akte und mehr als drei Stunden zieht sich dies bis zur 2. Pause dahin. Erst im vierten und letzten Akt entsteht ein großes, melodramatisches Kammerspiel über ein homosexuelles Paar (Damir Avdic, Bastian Reiber), die auf Vermittlung der aalglatten Agentin (Stephanie Eidt) eine ukrainische Leihmutter (Schaubühnen-Neuzugang Magdalena Lermer) buchen, die ihren aufbrausenden Mann (Schaubühnen-Rückkehrer Stefan Stern) immer wieder besänftigen muss. In dieser letzten knappen Stunde wird ein Erzählstrang in all seiner Tragik und Komik entfaltet, endlich muss das Ensemble nicht mehr zur nächsten Miniatur hetzen. Der Plot steuert auf den 24. Februar 2022, den Tag der russischen Vollinvasion in der Ukraine zu. Als die Ex-Freundin und Eizellspenderin (Alina Vimbai Strähler) und der Berliner Künstler (Avidc) verloren in der Kiewer Bahnhofs-Kulisse stehen und in den Luftschutzkeller flüchten, kann man nach diesem langen Abend die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören.

„Glaube, Geld, Krieg und Liebe“ ist ein technisch aufwändiger und in seiner ganzen Konzeption sehr ungewöhlicher Abend. Über weite Strecken ächzt das Konstrukt, bevor das Finale berührt und den verdienten Applaus bekommt.

Bilder: Gianmarco Bresadola

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