Keinen Zweifel lässt Paul Verhoeven daran, was er von der katholischen Kirche hält: in seinem Historiendrama „Benedetta“ sind die Äbtissin Felicita (Charlotte Rampling) und der päpstliche Nuntius (Lambert Wilson) geld- und machtgierige Zyniker, deren fromme Sprüche nur die Fassade für ein Wirtschaftsunternehmen sind, das ihnen Geld und Einfluss sichert.
Die ambivalentere Figur ist die Titelheldin Benedetta (Virginie Efira), die an ein reales Vorbild angelehnt ist: Benedetta Carlini wurde als Nonne in einem italienischen Kloster des 17. Jahrhunderts, die der Ketzerei bezichtigt wurde. Die britische Historikerin beleuchtete ihren Fall in den 1980er Jahren in der Studie „Immodest Acts“, von der sich Verhoeven und sein Drehbuch-Co-Autor David Birke inspirieren ließen.
Ist es religiöser Wahn oder von vornherein nur pure Berechnung, als Benedetta behauptet, dass ihr Jesus erschienen sei und ihr Körper zu beben beginnt? In der visuell eindrucksvollsten Szene kämpft sie gegen eine Armada von Schlangen an, von denen sie sich bedrängt fühlt, während Novizin Bartolomea (Daphné Patakia) mit dem Finger an ihrem Körper entlang fährt.
Als sich die Visionen häufen und sich auch die Stigmata Christi an ihrem Körper zeigen, wobei sie mit Glasscherben nachzuhelfen wusste, nutzt Benedetta diese Ausnahmestellung als angeblich von Christus Auserkorene: Sie verdrängt die Äbtisstin von ihrem Platz und zieht mit ihrer Gefährtin in die Räume der Kloster-Chefin. So explizit wie man dies von Altmeister Verhoeven gewohnt ist, filmt Verhoeven die Lust der beiden Frauen. Besonders hat es ihnen und dem Regisseur ein Dildo angetan, den Bartolomea aus einer Marien-Holzstatue geschnitzt hat und mit dem sie ihre Geliebte zum Höhepunkt penetriert.
Vor drei Jahrzehnten, auf dem Höhepunkt von Verhoevens Karriere in Hollywood mit „Robocop“ (1987) und „Basic Instinct“ (1992) hätte diese Kritik an der katholischen Kirche die Gemüter noch provoziert und für einen Skandal gesorgt. In Russland wurde „Benedetta“ verboten, in Westeuropa nur freundlich von der Cineasten-Blase kommentiert, als er im Juli 2021 im ersten Post-Lockdown-Wettbewerb von Cannes und einige Monate später am 2. Dezember 2021 in den deutschen Kinos anlief.
„Benedetta“ kommt optisch als Historien-Drama daher und persifliert das Genre mit satirischer Zuspitzung und sexueller Freizügigkeit. Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich aber doch so gewandelt und die Filmsprache ist wesentlich zurückhaltender als in Nunsploitation-Streifen, dass die Empörung ausblieb.
Als Studie über die Geld- und Machtmaschine katholische Kirche und die Unterdrückung queerer Menschen ist „Benedetta“ interessant, aber Florentina Holzingers „Sancta“-Crossover-Messe ist eher auf der Höhe der Zeit und künstlerisch an- und aufregender.
„Benedetta“ hatte am 3. Januar 2025 in der „Amour fou“-Reihe von 3sat seine TV-Premiere und ist noch einen Monat in der Mediathek abrufbar.
Bild: Capelight Pictures