Einmal pro Spielzeit ist am Berliner Ensemble Traditionspflege angesagt mit einer großen Inszenierung eines Stücks von Bertolt Brecht, dem Ahnherrn am Schiffbauerdamm.
Diesmal hat Oliver Reese den tschechischen Regisseur Dušan David Pařízek beauftragt, „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, ein Wirtschaftskrisen-Lehrstück und zugleich eine Parodie auf Schillers Pathos, auf die Bühne zu bringen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist Pařízek auf den großen Bühnen mit recht soliden Klassiker-Inszenierungen präsent. Sein Markenzeichen: der Overheadprojektor, der auch diesmal nicht fehlen darf und pünktlich zur Pause (vermeintlich? tatsächlich?) streikt.
Diese Pause ist das Herzstück des Abends: Stefanie Reinsperger, in ihre Heimat ans Wiener Burgtheater zurückgekehrt, aber dem Berliner Ensemble noch als fester Gast verbunden, steigt aus dem Brecht-Text aus und performt ein mehrere Minuten langes Solo, in dem die Ikone der Libertären, Ayn Rand, mit den „Nullen“ abrechnet. Aus „Atlas Shrugged“ (1957, in deutscher Übersetzung als „Der Streik“ bekannt) stammt dieser Monolog, den Reinsperger in unnachahmlicher Reinsperger-Manier in den Saal schleudert.
Man tut gut daran, das Angebot einer „Pause, falls Sie mögen“ nicht wahrzunehmen. Denn sonst verpasst man den Höhepunkt des Abends. Den selben Kniff setzten Reinsperger und Pařízek schon vor zehn Jahren in der Wiener „Die lächerliche Finsternis“-Inszenierung ein, als Reinspergers Stern beim Theatertreffen 2015 aufging und sie in der Pause das Bühnenbild kurz und klein häckselte.
Die restlichen zwei Stunden sind recht konventioneller Brecht mit ein paar Gags, die nicht so recht zünden, interessanten Licht- und Schattenspielen auf Parizeks schräger Holzbühne und zwei Schauspielerinnen im Zentrum. Der Fleischbaron Mauler wird am BE zur Maulerin und von Reinsperger verkörpert, ihre Gegenspielerin Johanna Dark ist Kathleen Morgeneyer.
Bemerkenswert an dem Aufeinandertreffen der beiden so gegensätzlichen Spielstile – hier die kraftvoll-wuchtige Reinsperger, die sich im „Kaukasischen Kreidekreis“ zum BE-Einstand die Seele aus dem Leib schrie, dort die ätherisch-zart spielende Morgeneyer: sie reizen ihre Figuren nicht zum Klischee aus, sondern legen sie facettenreicher an, als zu erwarten war. Reinspergers Maulerin ist nachdenklicher und kein Oligarchen-Rambo, sondern charmiert und trickst. Morgeneyers Johanna ist keine naive Frömmlerin, sondern wirkt durchaus tatkräftig.
Auf diese beiden herausragenden Schauspielerinnen ist die Brecht-Inszenierung zugeschnitten. Über weite Strecken wird aber vor allem der Brecht-Text deklamiert mit all seinen Börsen-Spekulations-Verwicklungen und Seitenhieben gegen die Heilsarmee/katholische Kirche (verkörpert durch die „Schwarzen Strohhüte“), die den Kapitalismus durch ihr „Opium fürs Volk“ stabilisieren.
Fazit: Viel Traditionspflege mit einigen Längen, aber zum Glück kann Oliver Reese weiter auf Stefanie Reinsperger setzen, die noch jeden Abend aufmischt.
Bilder: Birgit Hupfeld