Hinkemann

Bekannt wurde Anne Lenk mit Komödien aus dem Kanon, die sie auf ihre Gegenwartstauglichkeit abklopft. Molières „Menschenfeind“ oder Lessings „Minna von Barnhelm“ präsentiert sie als schnell geschnittene Szenenfolgen, im Fokus stehen meist die Geschlechterrollen, mit denen die Regisseurin und ihr Ensemble ironisch spielen.

Ungewöhnlich, dass sie sich am Deutschen Theater Berlin diesmal eine düstere Kriegstrauma-Tragödie vornimmt: Eugen Hinkemann (Moritz Kienemann) kommt als psychisch und physisch schwer Verwundeter aus dem Ersten Weltkrieg zurück. In seiner Männlichkeit ohnehin tief verunsichert, zerbricht er daran, von seinem Rivalen Paul Großhahn (Jeremy Mockridge) verhöhnt und ausgelacht zu werden.

Anne Lenk, ihre Bühnenbildnerin Judith Oswald und die Kostümbildnerin Daniela Selig verlegen die Familientragödie in eine mickrig-schiefe Küche, die in giftiges Grün getaucht wird. Die expressionistisch-comichaft überzeichnete Alptraumwelt wechselt nach Schwarzblenden in blutiges Rot oder wird von fieberartigen Intermezzi durchbrochen: immer wieder taucht ein Ballett junger, muskulöser Männer in Unterwäsche auf, die in ihren Posen überbetonen, was dem verzweifelten Hinkemann fehlt. Auf einem Phallus-Symbol düst auch der Budenbesitzer (Jonas Hien) durch die Gegend, der Hinkemann als Ekel-Attraktion in einer Dschungelcamp-artigen Prüfung auf dem Jahrmarkt ausstellt.

Der knapp zweistündige Abend lebt vor allem von seinem Hauptdarsteller: Moritz Kienemann, seit dieser Spielzeit im Ensemble des DT, ist ein Experte für gebrochene, geschundene, fiebrige Charaktere. In Berlin konnte er diese Stärke bisher nur bei zwei Dresdner Theatertreffen-Gastspielen zeigen: in Ulrich Rasches „Das große Heft“ und Sebastian Hartmanns „Erniedrigte und Beleidigte“, einer Doppeleinladung von 2019. Sein Hinkemann ist das Zentrum des Abends. In der stärksten Szene hat auch Almut Zilcher, die Grande Dame des DT-Ensembles, einen Verzweiflungsauftritt als Mutter von Hinkemann. Der Schmerz dieser beiden trägt den Abend, der über die existentielle Not der Figuren aus Tollers in Festungsheft geschriebener Tragödie sonst oft ironisch hinwegzwinkert, wie Christine Wahl im Tagesspiegel so treffend schrieb.

Konsequenterweise endet Lenks „Hinkemann“ auch nicht wie im Original mit Suizid und dem Untergang der Familie, sondern einem Patchwork-Happy-end: Eugen nimmt seine Grete (Lorena Handschin) in den Arm, als sie ihm gesteht, dass sie ein Baby von ihrem schmierigen Liebhaber erwartet, und will sich als Vater um das Kuckucks-Kind kümmern.

„Hinkemann“ hatte am 25. April 2025 am DT Berlin Premiere.

Bilder: Konrad Fersterer

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