Dichter Kunstnebel wabert durch die Volksbühne am Rosa Luxemburg-Platz: Florentina Holzinger evoziert in ihrer neuen Produktion „A Year without Summer“ die Atmosphäre des Jahres 1816. Der Ascheregen des indonesischen Vulkans Tambora verdunkelte den Himmel, Ernteausfälle sorgten für Hunger. Im selben Jahr schrieb die junge Mary Shelley ihren Frankenstein-Roman, den Klassiker der Grusel- und Gothic-Literatur.
Die Menschen suchten damals Halt, zogen sich in ihre Häuser zurück und kuschelten sich aneinander, führt eine Erzählerin aus. Das ist das Stichwort für eine sehr lange lesbische Gruppensex-Orgie. Nach und nach fallen alle Hüllen der Performerinnen der Holzinger-Truppe und der Seniorinnen, die eigens für dieses Projekt gecastet werden. Die Frauen küssen sich, reiben sich aneinander und verknäueln sich im Halbdunkel zu immer expliziteren Posen.
Dieser paradiesische Urzustand hält aber nicht lange an. Unter Schmerzen und per Livekamera in Großaufnahme bekommt die Chefin der Compagnie ihren linken Oberschenkel aufgeritzt: die Selbstverletzungs-Nummer, die zum signature piece jeder Holzinger-Produktion wurde.
Ausgehend vom Frankenstein-Motiv kreist der Rest des nur zwei Stunden kurzen Abends als assoziative Nummernrevue um die Grenzen der Medizin, die menschliche Hybris, den Traum von der Unsterblichkeit und die realen Qualen des Älterwerdens mit Krankheit und Inkontinenz bis hin zum Tod. Die Revue springt von einer recht albernen Sigmund Freud-Parodie über Anspielungen auf Kirill Serebrennikows gerade in Cannes vorgestellten Film „Das Verschwinden des Josef Mengele“ bis zu Krankenakte-Geschichten des Ensembles.
Formal ist „A Year wihout Summer“ ein Remix und Aufguss bekannter Holzinger-Versatzstücke, neu ist das Spiel mit dem Musical-Genre, das in mehreren Gesangsnummern von Ärztinnen und Krankenschwestern in weißen Kittel angetippt wird. Ein schönes Gimmick war der Einsatz von Robotern, die einsam über die Bühne kreiselten: eines der starken Bilder eines zerfasernden Abends.
Bild: Maya Wallraff
Im Vergleich zu dramaturgisch ausgefeilteren und thematisch spannenderen Abenden wie „Ophelia´s got talent“ und „Sancta“ fällt „A Year without Summer“ deutlich ab. Tiefpunkt war die Sauerei, die das Team kurz vor Schluss anrichtete, als die Körperflüssigkeiten aus den Windeln der Senioren-Statistinnen rausspritzten.
Die internationale Koproduktion mit mehreren Festivals und Theaterhäusern hatte am 21. Mai 2025 in der Volksbühne Premiere.
Vorschau-Bild: © Nicole Marianna Wytyczak
Regina Schulte am Hülse
Ich fand’s grauenhaft einfach nur sadomasochistischen Kitsch mit Musical Einlagen und widerlicher Zurschaustellung vom Elend in Altenheimen! Der Gestank fehlte, wenn man schon so brutal ehrlich sein will! Aber soweit wollte man wohl doch nicht gehen? Damit bleibt der Abend in der Dekadenz unserer übersättigten Wohlstandsgesellschaft hängen und stellt ihre Naivität und Herzlosigkeit so richtig aus! So sieht sie wohl aus die Beleidigung der Frau oder was? Scheiß auf Me Too!