Die „Theaterwissenschaftsmafia“ habe auch das traditionsreiche Burgtheater im Griff. Direktor Stefan Bachmann guckte den Mann, der diese steile These beim Publikumsgespräch zum Abschluss der ersten Saison der neuen Hausleitung in den Raum warf, freundlich-interessiert, aber auch etwas fassungslos an. Schlüssig begründen konnte der gute Mann, der über vergebliche Eingaben seiner Texte von Burg bis DT klagte, nicht, nach einigen umständlichen Annäherungsversuchen landete er bei dem Punkt, der ihn am meisten empörte: Dass mit Stefanie Reinsperger eine Frau den Vorstadt-Casanova und Verführer „Liliom“ spiele, gehe überhaupt nicht.
Doch keine Sorge: die Besetzung funktioniert wunderbar und war Hauptgesprächsthema der älteren Damen in der Tram, die diesen Abend mit der „Reinberger … äh … Reinsperger“ mit leuchtenden Augen anderen älteren Damen empfahlen. Die Burg bleibt stabil und Avantgarde-Experimente wird man auch weiterhin eher bei den Festwochen oder in der Off-Szene finden.
Stefanie Reinsperger gibt nach einigen Jahren am Berliner Ensemble ihr fulminantes Wien-Comeback und ist als „Blut-, Schweiß- und Tränenschauspielerin“ (Selbstbeschreibung im Programmheft-Interview mit dem Dramaturgen Thomas Jonigk) eine androgyn-machohafte „Liliom“-Besetzung, die sowohl die volle Wucht des raumgreifenden Auftritts als auch die leisen, verzweifelten Töne beherrscht. Im ersten Bild liegt Reinspergers „Liliom“ im blutverschmierten Unterhemd auf einer pittoresken Western-Bühne, die Regisseur Philipp Stölzl selbst gestaltet hat. Sein Schwerpunkt waren zunächst Musikvideos, Kino-Blockbuster und Opern, bevor er mit dem Epos „Das Vermächtnis“ zum Theatertreffen eingeladen wurde und mit Ferenc Molnárs „Liliom“ in einer Neuübersetzung von Terézia Mora sein Burg-Debüt feiert.
Die zwei Stunden sind keinesfalls eine bloße Reinsperger-Show, wie es zu ihrer Zeit am BE, als sie die Kolleg*innen an die Wand spielte, hin und wieder passierte. Sie ist umgeben von einem Ensemble, das ein Panorama aus Figuren spielt, die sich mit der Vorstadt-Tristesse besser abfinden als der Protagonist. Besonders hervorzuheben sind Maresi Riegner als unglücklich liebende Julie und Franziska Hackl als Frau Muskat und Zeynep Buyraç als Marie, die dem Abend eine komödiantische Note geben.
Nach der Burgtheater-Premiere am 6. Dezember 2024 war Stölzls „Liliom“ auch auf der Shortlist des Theatertreffens. Bei aller Brillanz und Wucht von Reinsperger, die diesen Abend zum Schauspielfest macht, war dieser sehr wienerische Abend wohl doch zu konventionell für den Jury-Geschmack und die 10er-Auswahl.
Bilder: Tommy Hetzel