Leonce und Lena

„Hoffentlich gibt es auch ein bisschen was zu lachen, das bräuchten wir in diesen Zeiten“, stimmte sich ein Paar auf den Premierenabend ein. – „Nein, lustig wird es heute leider nicht“, entgegnete ihre Sitznachbarin. Angekündigt war zwar Georg Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“,  eine romantische Komödie mit Liebesverirrungen und der Karikatur eines bornierten Herrschers mit dem albernen Namen König Popo.

Aber Komödien sind nun wirklich nicht Ulrich Rasches Sache. Er ist bekannt für wuchtig-fordernde Abende, stundenlange Laufband- oder Drehbühnen-Exerzitien zu live gespielten Techno-Beats und große, tragische Stoffe. Zuletzt waren am Deutschen Theater Berlin die Suizid-Nachtgedanken „4.48 Psychose“ von Sarah Kane und die Atriden-Tragödie „Oedipus“ von Sophokles zu erleben. All diese bekannten Stilmittel, die Claudia Bauer zuletzt in ihrer „Valentiniade“ persifliert hat, sind auch an diesem fast dreistündigen, pausenlosen Abend wieder zu erleben.

Konsequenterweise hat Rasche die meisten Lustspiel-Szenen gestrichen, wie Tilman Fischer in seiner lesenswerten Programmheft-Einführung erklärt, und stattdessen andere Büchner-Texte hineinmontiert. Gleich zu Beginn kommt der Chor auf die von einer an der Decke hängenden Rautenkonstruktion nur spärlich beleuchteten Bühne, ganz in anarchistisches Schwarz gehüllt, und deklamieren mit hervorragender Präzision Ausschnitte aus Büchners wütendem Pamphlet „Der hessische Landbote“. Wegen der polizeilichen Ermittlungen nach diesem Vormärz-Text, der mit dem Absolutismus in den deutschen Fürstentümern abrechnete, musste Büchner ins Straßburger Exil fliehen.

Noch nicht ganz so synchron funktionieren die Side-Steps, zu denen die permanent kreisende Drehbühne alle Akteure in Rasches Inszenierung zwingt. Neben den Rasche-Stammkräften (seinem langjährigen Chorleiter Toni Jessen und Yannik Stöbener) sind diesmal einige Ensemble-Mitglieder des DT dabei, die erstmals mit dem Regisseur arbeiten, und mehrere Spieler*innen von der UdK, die gerade in dem Alter sind, in dem Büchner viel zu früh an Typhus starb.

„Rasche at it´s best“ erleben wir in den Momenten, in denen er sein bewährtes Handwerkszeug präsentieren und die künstlerischen Mittel ausstellen kann, die ihm mit „Die Räuber„, „Woyzeck“ und „Das große Heft“ drei Theatertreffen-Einladungen in Folge einbrachten, als die Riesenwalzen und Bühnenaufbauten noch wesentlich voluminöser waren. Auch dieser mit „Leonce und Lena“ überschriebene Abend ist voller Schmerz, Wut und Verzweiflung. Kraftraubend sind die Exerzitien nicht nur für das Ensemble, das mit gepressten Stimmen und verzerrten Gesichtern die Büchner-Texte wie seinen „Fatalismus-Brief“ deklamiert: „Seit ich über die Rheinbrücke ging, bin ich wie in mir vernichtet, ein einzelnes Gefühl taucht in mir auf. Ich bin ein Automat; die Seele ist mir genommen“, klagt und barmt Linda Pöppel. Auch das Publikum braucht viel Konzentration, Schmerz-Resistenz und Ausdauer, um den pausenlosen Abend durchzustehen.

Da hatte das Paar, das auf etwas Unterhaltung hoffte und stattdessen mit niederschmetterndem Dauer-Lamento zu Techno-Beats konfrontiert, den Saal aber längst verlassen. Die Lustspiel-Handlung, die die großen Berliner Häuser seit Robert Wilson mit seiner gewohnten Puppentheater-Ästhetik an Claus Peymanns Berliner Ensemble 2003 nur mit spitzen Fingern angefasst haben, kommt an diesem Abend zu kurz. Der Schluss passt gut ins Konzept von Rasche: die Automaten-Hochzeit von Leone (Marcel Kohler) und Lena (Julia Windischbauer), mit der sie König Popo (Almut Zilcher) überlisten wollen, performt der Chor mit roboterhaften, abgehackten Bewerbungen und trägt nur noch cremefarbene Unterwäsche neben den Mikroports.

Im langen Mittelteil sind von Leonce und Lena immer wieder Spurenelemente zu erleben, interessanter ist es aber, wenn Rasche die Fremdtexte hineinmontiert, mit denen er sich offensichtlich wesentlich wohler fühlt als mit dem Lustspiel. Die romantischen Aspekte der Büchner-Vorlage werden von der Wucht der anderen Texte regelrecht zermahlen, wie es Elena Philipp in ihrer Nachtkritik die Schwäche des Abends auf den Punkt brachte.

Eine Besonderheit dieser Rasche-Inszenierung ist, dass er erstmals mit dem international gefragten Choreographen Jefta van Dinther zusammenarbeitete, dessen Arbeiten in Berlin regelmäßig bei Tanz im August zu erleben sind. Zuletzt erarbeitete er mit dem Staatsballett Berlin „Plateau Effect“ die Saison-Eröffnung 2019. Von seinen freieren, spielerischen Bewegungsmustern werden aber ebenso wie von Büchners Lustspiel nur wenige Spurenelemente in Rasches Überwältigungsmaschinerie sichtbar.

Wer bereit ist, sich auf den Rasche-Sound einzulassen und das nötige Sitzfleisch mitbringt, kann einen lohnenden Abend erleben, der zu den stärkeren und durchdachteren Inszenierungen der Saison zählt. Wer nur etwas Zerstreuung sucht, ist bei der Revue von Constanza Macras oder vielen anderen Abenden besser aufgehoben.

Auch in der Theatertreffen-Jury hatte Ulrich Rasches „Leonce und Lena“ einige Fürsprecher*innen, schaffte es aber nur auf die Shortlist, nicht in die 10er Auswahl.

Bilder: Arno Declair

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