Traditionell eröffnet das Lausitz-Festival mit einer Shakespeare-Inszenierung. Marcel Kohler, viele Jahre im Ensemble des Deutschen Theaters Berlin und seit 2023 an der Schaubühne engagiert, hat einen intelligenten Zugriff auf den Klassiker entwickelt. Statt gewohntem Guckkasten-Theater hat er die Handlung auf folgende Stationen aufgeteilt: das Bett der Desdemona, die Wohnung der Brabantia und eine Bar. In drei Gruppen wird das Publikum durch die Danner-Halle auf dem TELUX-Industriegelände geführt. Das Geschehen der anderen Schauplätze dringt herüber: oft wehen die Klänge der Live-Musik von Christoph Bernewitz und Evi Filipoou herüber oder huschen Gestalten im Hintergrund vorbei. Zum Ende jeder Performance gellen die Schreie von Desdemona (Linn Reusse) über das Areal, die vergeblich versucht, dem Eifersuchtsmord durch Othello (Leonard Burkhardt) zu entkommen.
Die Gruppe mit den blauen Bändchen hat das Glück, gleich mit dem stärksten Teil des „Othello“-Puzzles zu beginnen. Als intimes Kammerspiel legen Reusse und Burkhardt ihre Szenen in den privaten Räumen der Desdemona an, mit Cassio (Tom Gramenz) und Jago (Götz Schubert) betreten auch die beiden wichtigsten anderen Protagonisten der Tragödie die Szenerie. In dieser Passage des Triples sitzt das Publikum am nächsten dran, die Auftritte sind am feinsten gearbeitet und dieser Teil ist auch der komödiantistische mit vielen kleinen Brechungen und Auflockerungen.
Nach fast drei Stunden erheben sich plötzlich einige Frauen und Männer vom Stadtchor Weißwasser, die bis dahin völlig unverdächtiger Teil unserer Gruppe durch den Parcours waren, und steigern sich in wütende Tiraden eines rechten Mobs hinein. Kohler schließt seine „Othello“-Textfassung mit dem Shakespeare-Fragment „Die Fremden“ ab. Mitten in der aufgewühlten Stimmung nach dem Messer-Attentat von Solingen und kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und den Nachbarländern Thüringen und Brandenburg wirkt dieser Schluss zwar etwas plakativ als Wink mit dem Zaunpfahl. Das Team zieht für dieses Finale jedoch effektsicher alle Register des Überwältigungstheaters.
Zur Eröffnung der 5. Ausgabe des Lausitz-Festivals gelang Kohler und seinem Team, das sich aus namhaften Spielerinnen und Spielern wie Linn Reusse (Schauspielhaus Hamburg) oder Götz Schubert, der seit den 1990ern auf zahlreichen großen Bühnen zu sehen war, und interessanten, noch weniger bekannten Namen wie Tom Gramenz (nach einem ersten Engagement in Karlsruhe und Filmrollen wie in „Das schweigende Klassenzimmer“ derzeit freier Schauspieler) oder Leonard Burkhardt (seit 2022 im ersten Engagement in Mannheim) zusammensetzt, ein sehenswerter Auftakt. Hervorzuheben ist vor allem Burkhardt, der die Titelfigur überzeugend als kraftstrotzenden, Jagos Intriganz allzu leichtgläubigen Soldaten anlegt. Leider wurden nur drei Vorstellungen angesetzt, die letzte findet bereits heute Abend statt.
Bilder: Marlies Kross