Tief pessimistisch startet das Deutsche Theater Berlin in die neue Spielzeit: nach „Das Schiff der Träume“ erzählt auch „Blue Skies“ vom Untergang der Menschheit. Das verbindende Element dieser beiden Eröffnungsinszenierungen ist, dass sie wohlstandsverwahrloste Figuren vorführen, die ihrem Ende entgegentaumeln.
Die Live-Musiker Sven Michelson und Niklas Kraft sorgen für den bedrohlichen Hintergrundsound, der ebenso wenig zur Ruhe kommt wie die sich unablässig drehende Bühne. Wie Zombies wirken die Figuren, die herein- und wieder aus dem Bild gefahren werden. Anfangs sind sie zwischen den großen, weißen Sonnensegeln oft erst auf den zweiten Blick auszumachen. Als die Klimakatastrophe voranschreitet, wird dieser Hitzeschutz abgebaut, Daniel Wollentins Bühne wird zur leeren, menschenfeindlichen Ödnis, auf die der Scheinwerfer unerbittlich herunterstrahlt und am Ende auch das Publikum blendet.
In Kalifornien trocknet die Natur aus, Florida wird vom anderen Wetter-Extrem heimgesucht. Hier überschwemmen Sturmfluten den Besitz des Paares Todd und Cat. Er jettet als Bacardi-Rum-Vertreter durch die Welt, Jeremy Mockridge legt ihn mit Perlenkette und Cowboyhut als exzentrischen Farbtupfer an. Alles an dieser Figur brüllt dem Publikum entgegen: ich bin ein narzisstisch-oberflächlicher Schönling. Seine Frau betäubt die Langeweile mit zu viel Alkohol und träumt davon, ihre Influencerinnen-Karriere mit einer Tigerpython, die sie sich um den Hals legt, aufzupeppen. Mareike Beykirch spielt diese „Schlangenlady“ recht zurückgenommen, passend zum Grundton dieser Inszenierung.
Ein Jahr nach seiner „Weltall Erde Mensch“-Eröffnungsinszenierung, die in einer Flut aus Theatermitteln und hektisch aneinander gereihten Ideen ertrank, bietet Regisseur Alexander Eisenach diesmal zwei sehr konzentrierte Theaterstunden, die der 2023 erschienenen dystopischen Romanvorlage eng folgen.
Sehr klar führt diese Inszenierung eine Gesellschaft vor, die einfach weitermacht, obwohl alle Warnzeichen dunkelrot blinken und die Einschläge der Klimakrise immer näherkommen. Die Dringlichkeit seines Anliegens unterstreicht Eisenach mit den bekannten apokalyptischen Passagen aus dem Alten Testament, die Manuel Harder ins Publikum grollt, der als schwarzes Schreckgespenst zwischen den Wohlstands-Zombies herumgeistert.
Zwei Wochen vor der Berliner Premiere wurde der Roman „Blue Skies“ von Jan Bosse am Hamburger Thalia Theater auf die Bühne gebracht. Zu viel Klamauk wurde den drei Stunden in vielen Kritiken vorgeworfen. Das lässt sich der sehr entschlackten, sich ganz auf den dystopischen Kern konzentrierenden DT-Inszenierung nicht vorwerfen. Eisenach gönnt sich und dem Publikum kaum einen comic relief, der vom Ernst der Botschaft ablenken könnte, obwohl einige satirisch überzeichnete Motive wie die Insekten, die Ottilie (Evamaria Salcher) auf Drängen ihres Sohnes Cooper (Alexej Lochmann) in den verschiedensten Formen zubereitet, dazu einladen würden. Eine echte Würge-Schlange wie noch zu Volksbühnen-Zeiten von Herbert Fritsch gab es leider auch nicht.
Die völlige Konzentration auf das Grundgerüst einer langsam und ausweglos ihrem Untergang entgegendämmernden Gesellschaft ist ein Problem der Inszenierung. Die Figuren machen keine Entwicklung durch, sondern drehen sich trotz aller Eskapismus-Versuche im Kreis. Dies führen Eisenach und sein Team zwei Stunden lang konsequent vor. Die Textmassen, die zu bewältigen sind, werden oft als Botenbericht von den neuesten Extremwetter-Unglücken frontal von den Spieler*innen ins Publikum gesprochen, die gerade im Zentrum der Drehbühne stehen. Schon in seiner Konzeption ist diese Roman-Adaption wenig dramatisch und oft sehr statisch.
An der alarmierenden Lage des Klimawandels lassen wissenschaftliche Studien keinen Zweifel, auch die nicht abreißenden Meldungen des Hitze-Sommers belegen dies. „Blue Skies“ ist ein Abend, der diese Botschaft unterstreicht: kein unterhaltsamer Guter Laune-Abend, sondern düstere Kost mit atmosphärisch gedimmtem Licht und eine Nacherzählung der wesentlichen Stationen des dystopischen Romans.
Bilder: Jasmin Schuller