Das Ereignis

Vorsichtig tasten sich die drei Spielerinnen an „Das Ereignis“ von Annie Ernaux heran. In ihrem charakteristischen autofiktionalen, mit soziologischen Betrachtungen gespickten Stil erinnerte sich die französische Autorin im Jahr 2000 an ihre Odyssee, die sie als junge Literaturstudentin durchmachte, als sie sich entschloss, trotz des Verbots im katholisch geprägten Frankreich Anfang der 1960er Jahre ein Kind abzutreiben.

Erst 2021 erschien der Roman, der im Original „L’ événement“ heißt, auch auf Deutsch, als Ernaux auch hierzulande zu spätem Ruhm kam, der mit dem Nobelpreis im Oktober 2022 gekrönt wurde. Auch die Theater versuchen sich immer wieder an Adaptionen der Ernaux-Romane, obwohl der sachlich-nüchterne Reflexions-Ton ganz untheatralisch ist. Sowohl das Münchner Residenztheater als auch die Berliner Schaubühne brachten „Die Erinnerung eines Mädchens“ auf die Bühne, das Berliner Ensemble zog mit „Das Ereignis“ im Februar 2023 nach.

Nah bleiben Regisseurin Laura Linnenbaum und Dramaturgin Amely Joana Haag in ihrer Fassung an der Vorlage. Der nüchterne Ton wird beibehalten. Kaum etwas soll von den konzentrierten Gedankengängen der Protagonistin. Hin und wieder werden Chansons aus vergangenen Jahrzehnten eingespielt. Sparsam wird der Text bebildert, etwas zu plakativ sind die Szenen, in denen sich das zunächst ganz in weiß und hellem beige auftretende Trio mit den Erdhaufen beschmutzt, die auf Daniel  Roskamps Bühne verstreut sind.

Wenig Text-Eingriffe wagt Laura Linnenbaum in ihrer dritten, sehr zurückhaltenden Regie-Arbeit am Haus, die sich wie schon „Kriegsbeute“ (2019) und das Flucht-Drama „Gott ist nicht schüchtern“ (2020) sehr düsteren Themen widmet. Eine schlüssige Setzung ist, dass die Regisseurin den vielschichtigen Text auf drei Spielerinnen aufteilt: Kathrin Wehlisch und Pauline Knof teilen sich die Passagen, in denen Ernaux abgeklärt auf die Jugend-Erlebnisse zurückblickt. Nina Bruns, die in der vergangenen Spielzeit ans BE kam, spielt die aufgewühlte junge Frau, die das Geschehen durchleidet.

„Das Ereignis“ ist ein Abend, der so nüchtern, kompakt und konzentriert ist wie sein Titel. Reflektierendes, stilles Erzähltheater mit minimalem Einsatz von Theatermitteln, wie es nicht weiter von der aufgekratzen Farce „Der nackte Wahnsinn“ entfernt sein könnte, in dem alle drei Spielerinnen ebenfalls zu erleben war. Fürs Theater eignet sich der Ernaux-Stil dennoch nur eingeschränkt, die 2021 mit dem Goldenen Löwen in Venedig ausgezeichnete Verfilmung von Audrey Diwan war eine eindringlichere Adaption der Vorlage.

Bild: JR Berliner Ensemble

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