Pferd frisst Hut

Die Türen klappern, der tollpatschige Held stolpert von Fettnäpfchen in Fettnäpfchen, die hysterische Hochzeitsgesellschaft immer dicht auf seinen Fersen: Willkommen in der Boulevardkomödie. Dieses Genre führte Eugène Labiche im 19. Jahrhundert zu großer Meisterschaft. Zu seinen bekannteren Werken, die er fast wie am Fließband produzierte, gehört „Die Affäre Rue d´Lourcine“, die seit einem Jahr auch an der Schaubühne zu sehen ist.

Wenige Kilometer weiter feierte nun „Pferd frisst Hut“, eine Musiktheater-Bearbeitung von Labiches „Florentinerhut“, die Herbert Fritsch, Herbert Grönemeyer und Sabrina Zwach gemeinsam realisierten, ihre Berlin-Premiere in der Komischen Oper im Schillertheater.

Christopher Nell, der sich seit seinen Hauptrollen an Claus Peymanns Berliner Ensemble bis auf regelmäßige Konzert-Auftritte mit „Muttis Kinder“ auf Berliner Bühnen rar macht, glänzt als zappeliger, stets überforderter Bräutigam. Den stärksten Szenenapplaus ernten Florian Anderer aus der Fritsch-Familie, der sich wie eine Gummipuppe verbiegt und zwischen mehreren Rollen, u.a. als Polizist/heimlicher Liebhaber der Frau mit Hut und Baronesse in Dragm hin und her hüpft, sowie Countertenor Hubert Wild als Schwiegervater, der bei all den Verfolgungsjagden im alemannischen Dialekt über sein zu enges Schuhwerk klagt.

Diese Verfolgungsjagden dürfen bei einer Boulevard-Farce natürlich ebenso wenig fehlen wie die Figur des gehörnten, eifersüchtigen Ehemanns, der die anderen auf der Suche nach dem Täter die anderen vor sich hertreibt. Charakteristisch für „Pferd frisst Hut“ sind die vielen Wortverdrehungen und Anspielungen, die in früheren Zeiten lasziv und frech gewirkt haben mögen, heute aber etwas verkrampft-altbacken daher kommen.

Wenn man sich auf das Genre einlässt, kann man an dem Abend trotzdem seinen Spaß haben. Noch eine weitere kleine Einschränkung: schon nach der Basler Premiere der Koproduktion von „Pferd frisst Hut“ im November 2023, die dazwischen auf der Ruhrtriennale gastierte und in Berlin mit Umbesetzungen neu arrangiert wurde, bemängelten einige Kritiken das fehlende Timing. Die erste Hälfte hängt tatsächlich immer wieder durch, bevor die Farce im Finale richtig Tempo aufnimmt.

Ein klassischer Herbert Fritsch-Abend, wie wir ihn von Volksbühne oder Schaubühne kennen, dauert oft nur 90 Minuten und setzt auf präzise Körper-Komik. Die kommt in diesem Türen-Klipp-Klapp natürlich auch zu ihrem Recht, noch mehr Raum nehmen aber Wortwitz und natürlich die eigens von Herbert Grönemeyer komponierte, quer durch die Musikstile streifende Komposition. Dieses Zusammenspiel des „doppelten Herbert“, wie die Komische Oper stolz auf dem Banner über dem Eingang schrieb, ist auch doppelt so lang und leidet unter den beschriebenen Längen.

Zur Applaus-Choreografie ließ es sich der eine Herbert natürlich nicht nehmen, allerlei Slapstick aufzuführen, bis er hinter all den auf und zu klappenden Türen endlich, endlich auch den anderen Herbert auf der Bühne empfangen konnte.

Bild: Jan Windszus

 

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