„Fremde Poesie?“ ist eine Reihe von Studio-Produktionen des Gorki Theaters überschrieben, die Murat Dikenci kuratiert. Aus dem Fragezeichen könnte man beim dritten Teil, der seit Oktober 2024 im Repertoire läuft, auch guten Gewissens ein Ausrufezeichen machen.
„I pity the garden“ ist der Abend, der bislang am tiefsten in Poesie und Lyrik eintaucht und sich am weitesten aus der Komfortszene eines eurozentrischen Blicks wagt. Die Fremdheit der Texte der früh verstorbenen iranischen Lyrikerin Forugh Farrokhzad (1935 – 1967) wird nicht durch einordnende Zwischentexte und erklärende Einschübe überbrückt, die interdisziplinär arbeitende Regisseurin Nazanin Noori lässt die Texte pur wirken, lediglich untermalt vom Livemusik-Duo Andrea Belfi und Sofia Salvo.
Als „Sprechoper“ hat das Gorki Theater diese Produktion gelabelt: Kate Strong, Expertin für das Rätselhafte und Sperrige auf den Bühnen, trägt die englischen Übersetzungen vor. Im Wechsel übernimmt Samin Ghorbani, eine in Teheran geborene Musikerin. Leitmotivisch kreisen viele der vorgetragenen Texte um die Schlange und den religiösen Begriff der Sünde. Der Garten, von dem die Rede ist, scheint bevölkert von Fabelwesen. Ghorbani und Strong treten in exzentrischen, an Pudel erinnernden orangenen Turmfrisur-Perücken auf, das komplette Team trägt schwarze, mit Gothic-Motiven bedruckte Shirts.
Nach einer Weile kommt auch Countertenor Steve Katona dazu, der dem Berliner Theaterpublikum bereits aus den „Männerphantasien“ in der Box des Deutschen Theaters bekannt ist, und gibt dem 70 Minuten kurzen Klangkunstwerk aus Poesie und Musik eine noch stärkere ätherische Note.
Sehr atonal und mit Stroboskop-Gewitter endet diese kleine Werkschau einer hierzulande wenig bekannten Künstlerin, die als Wegbereiterin der iranischen Moderne gilt und im Iran bis heute umstritten ist. Dem Regime sind die Frauenfiguren ihrer Texte zu selbstbewusst, die niedergeschlagene Frau, Leben, Freiheit-Revolutionsbewegung berief sich auch auf Forughad Farrokhzad als Vorkämpferin. Doch anders als z.B. in der May Ayim-Hommage „Blues in Schwarz-Weiß“ spart „I pity the garden“ solche Kontextualisierungen und Erklärungen aus. Diesmal soll die „Fremde Poesie“ ganz für sich wirken.
Bild: © Etritanë Emini